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Interview

Kämpfe in der Ostukraine : Gewinnt Russland den Krieg jetzt doch?

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Die Ukraine verteidigte sich lange viel erfolgreicher, als Beobachter das erwartet haben. Nun gerät sie aber in die Defensive. Was bedeutet das für den Krieg und auch für Europa?

Zu sehen ist ein zerstörte Straß in Sjewjerodonezk. Links und rechts verbrannte Bäume und Autos
Sjewjerodonezk: Das "Epizentrum der Konfrontation" im Krieg um die Ostukraine.
Quelle: Oleksandr Ratushniak/AP/dpa

Lange sah es so aus, als könnte sich die Ukraine gegen den russischen Angriff erwehren. Sehr viel besser als viele Beobachter vor dem 24. Februar erwartet hätten. Die Kämpfe in der Ost-Ukraine und speziell um die Industriestadt Sjewjerodonezk zeigen jedoch, dass Russland langsam aber sicher die Oberhand gewinnt.

Die ukrainischen Streitkräfte können sich teilweise noch wehren, Russland macht aber nach und nach mehr Boden gut und drängt die Verteidiger zurück. 10.000 ukrainische Soldaten wurden seit dem Beginn der Invasion vor gut dreieinhalb Monaten getötet. Kann es sein, dass Russland nach den Rückschlägen am Anfang nun doch den Krieg gewinnt? Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat die Lage im Gespräch mit ZDFheute analysiert.

Karte von der Ukraine mit Lyssytschansk und Sjewjerodonezk
Karte von der Ukraine mit Lyssytschansk und Sjewjerodonezk

ZDFheute: Wie ist die Lage im Kampf um die Ukraine?

Christian Mölling: Man kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass Russland sehr wohl viele Erfolge schafft. Das heißt, sie kommen langsam, aber stetig voran und werden wahrscheinlich auch große Teile des Donbass bald eingenommen haben. Und die ukrainische Armee weiß auch, dass sie das zum jetzigen Zeitpunkt nicht komplett verhindern kann. Sie zieht sich daher jetzt geordnet zurück und versucht Zeit zu gewinnen, bis mehr Waffen aus dem Westen eingetroffen sind, und den russischen Truppen noch so große Verluste wie möglich zuzufügen, um die Kampfhandlungen irgendwann zu einem Stillstand zu bringen.

ZDFheute: Wie realistisch ist eine Verhandlungslösung?

Mölling: Beide Seiten haben sich dazu entschlossen, nichts anderes als militärische Mittel einzusetzen. Der Krieg endet erst, wenn die Schlacht entschieden ist. Es würde auch nicht reichen, wenn eine Kriegspartei sagen würde, sie möchte verhandeln. Solange die Gegenseite der Ansicht ist, dass sie mit militärischen Mitteln mehr erreichen kann, wird es nicht dazu kommen. Deswegen sind einseitige Forderungen nach Verhandlungen, so wie sie bei uns zurzeit geäußert werden, nicht realistisch, da sie mit den Interessen der Akteure und der Lage vor Ort nichts zu tun haben.

In dieser Woche hat Wladimir Putin ja auch nochmal deutlich gemacht, was seine Vision ist, als er sich mit Russlands Zar Peter dem Großen verglichen hat und angedeutet hat, Gebiete, die früher mal Russisch waren, zurückholen zu wollen. Das betrifft dann zum Beispiel das Baltikum: Litauen, Lettland, Estland. Damit hat er schon einen möglichen nächsten Krieg angekündigt.

ZDFheute: Was passiert, wenn der Donbass eingenommen ist?

Mölling: Aktuell finden die Kämpfe im Donbass in flachem Gelände statt, ohne viele Optionen, Verteidigungsstellungen aufzubauen.

Die russische Artillerie schiebt einfach einen "Vernichtungs-Korridor" vor sich her und zerschießt alles, was da ist. Das ist langsam, aber aus Sicht Moskaus hat man offenbar Zeit. 

Sobald der Donbass eingenommen ist, verändert sich die Lage: Dann treffen die russischen Truppen auf Städte, die schon seit 2014 stark befestigt wurden - quasi wie Festungen ausgebaut. Da werden die Russen wahrscheinlich nicht mehr so leicht weiterkommen. Und die Ukraine hofft, dass bis es so weit ist, in höherer Zahl westliche Waffensysteme angekommen sind - möglicherweise auch Lenkflugkörper. Wenn die in ausreichender Zahl da sind, kann man die russische Artillerie dezimieren. Und dann könnte sich das Blatt nochmal wenden. 

Bis es so weit ist, wird es im Donbass selbst vermutlich zu einem Partisanenkrieg der Bevölkerung gegen die Besatzer kommen. Das wird die nächste große Debatte, inwiefern der Westen auch bereit ist, diesen zu unterstützen.

ZDFheute: Wie kann der Westen den Konflikt noch beeinflussen?

Mölling: Das Wichtigste ist: Man wird die Sicherheitslage der Ukraine, aber auch der baltischen Staaten nicht verbessern, wenn man weiter wartet. Da nicht damit zu rechnen ist, dass Putin den Angriff abbricht, ist es von hoher Bedeutung, weitere Angriffsziele besser zu schützen. Etwa die Ostflanke der Nato mit mehr Truppen zu besetzen, um den Kreml von einem Angriff dort abzuschrecken.

Auch die Situation in der Ukraine würde vermutlich sehr anders aussehen, wenn der Westen am Anfang der Invasion schneller reagiert hätte und direkt Waffen - auch schwere Waffen - geschickt hätte.

Am Anfang sind alle erstmal davon ausgegangen, dass das ein sehr kurzer Krieg wird. Und als dem nicht so war, fehlten - vor allem auch in Berlin - die Handlungsoptionen. Die politische Führung wusste nicht, was das Richtige ist und man hat geglaubt, dass man mit Waffenlieferungen in homöopathischen Dosen - sieben Haubitzen und ganz viel Munition - etwas bewirken könnte.

Montage: Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj vor einem Blick auf das zerstörte Mariupol

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ZDFheute: Welche Bedeutung hat der Krieg für Europa?

Mölling: Die Ukraine verteidigt in dem Krieg nicht nur ihre territoriale und politische Integrität. Sie verteidigt auch das Völkerrecht und - das ist das wichtigste - sie verteidigt auch unsere Sicherheit:

Jeder russische Panzer, der da gerade zerschossen wird, mit dem haben wir keine Probleme mehr, den können wir von der Rechnung nehmen.

Diese Tatsache wurde im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium vielleicht mittlerweile intellektuell verstanden, findet sich aber noch nicht in den Handlungen wieder.

Salopp gesagt: In Deutschland muss ein Panzer noch über den TÜV, bevor er in der Ukraine in den Krieg ziehen kann. Das ist die falsche Herangehensweise. Und um in diesem Bild zu bleiben: Die Besatzung eines Panzers muss schnell lernen, wie sie steuert und schießt, sie muss aber nicht die deutsche Straßenverkehrsordnung auswendig können.

Das Interview führte Jan Schneider aus dem ZDFheuteCheck-Team.

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