Saufen, koksen, sexuelle Übergriffe: In Westminster reiht sich ein Skandal an den nächsten. Jetzt soll der Ruf der "Mutter aller Parlamente" gerettet werden.
"Mutter aller Parlamente" wird die Herzkammer der britischen Demokratie oft genannt. Doch so altehrwürdig dieses Haus auch sein mag, so sehr schlagen einige Abgeordnete hier über die Strenge. Deshalb gab es auch schon Rücktritte wegen schweren Fehlverhaltens. Der Ruf des britischen Parlaments ist angeschlagen.
Doch nicht nur Parlamentarier aller Couleur lassen die Puppen tanzen, auch Mitarbeiter. Allein im März wurden in den Gebäuden an der Themse neun alkoholbedingte Sicherheitsvorfälle gemeldet. Vieles erinnert an die Feiern während der Corona-Lockdowns in der Downing Street, die sogenannte Partygate-Affäre.
Eigene Kneipe im Parlament - mit günstigen Preisen
Justiz-Staatssekretärin Victoria Adams sagte kürzlich beim Sender 'Times Radio': "Dies ist eine Arbeitsstätte. So sollten sich Leute am Arbeitsplatz nicht verhalten."
Was fast flehentlich klingt, ist nicht die erste Mahnung an Abgeordnete und Beschäftigte. Seit Wochen gibt es Appelle, die Kultur in Westminster müsse sich endlich ändern.
- Das bringt es, auf Alkohol zu verzichten
Der Vorsatz, einen Monat auf Alkohol zu verzichten, kann dem Körper guttun. Wer im Januar "trocken" blieb, könnte nun diese positiven Effekte bemerken.
Immer deutlicher wird, welch zentrale Rolle Alkohol im Regierungsviertel spielt. Es ist üblich, dass sich Abgeordnete, Mitarbeiter, Lobbyisten und Journalisten in einem der vielen Pubs wie dem "Red Lion" zum Plausch treffen - und zu mehreren Pints. Wer nicht hingeht, kann nicht mitreden. Im Parlament selbst gibt es eine Kneipe, wo die Preise deutlich niedriger sind als anderswo im Vereinigten Königreich.
Verteidigungsminister Wallace rät: Meidet Pubs
Von einem ernsthaften Problem spricht auch der konservative Verteidigungsminister Ben Wallace.
Die Mischung aus viel Arbeit, hohem Druck und Alkohol sei giftig. "Mein Rat an alle Abgeordneten ist: Meidet Pubs. Beendet die Arbeit des Tages und geht nach Hause." Doch nicht nur Alkohol sorgte dieses Jahr schon für Skandale, auch anderes.
Wegen der "Partygate"-Affäre wird gegen den britischen Premier Boris Johnson eine Geldstrafe verhängt. ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann berichtet aus London.
Beim Porno-Schauen erwischt
Der konservative Abgeordnete Neil Parish schaute im Sitzungssaal auf seinem Handy einen Porno, bis er von einer Kollegin erwischt wurde. Die Verteidigungslinie des Landwirts, er sei auf der Suche nach Traktoren zufällig auf der Seite gelandet, hielt nicht lange stand. Parish musste zurücktreten.
Der Fall löste eine Sexismus-Debatte aus. Die Sonntagszeitung "Observer" schrieb von einem "giftigen Cocktail", der Westminster erschüttere.
Vorwürfe wegen sexuelle Belästigung
Auch Parishs Parteifreund Imran Ahmad Khan musste sein Amt abgeben: Ein Gericht befand ihn eines länger zurückliegenden sexuellen Übergriffs auf einen 15-Jährigen für schuldig.
Der konservative Abgeordnete David Warburton wurde von seiner Fraktion suspendiert, nachdem ein Foto auftauchte, das ihn offensichtlich mit Kokain zeigte. Hinzu kamen Vorwürfe dreier Frauen wegen sexueller Belästigung. Auch die Labour-Opposition ist betroffen. Ihr Abgeordneter Liam Byrne wurde für zwei Tage ausgeschlossen, weil er Mitarbeiter schikanierte.
Boris Johnson hat direkte Konsequenzen aus dem "Partygate"-Skandal ausgeschlossen. Nach Enthüllungen über Partys im Amtssitz während des Lockdowns droht ihm nun ein Misstrauensvotum.
Auch Kokain an der Tagesordnung
Kokain scheint im Parlament ähnlich verbreitet zu sein wie Alkohol. Anfang Dezember 2021 berichtete die Zeitung "Sunday Times", in fast allen Toilettenräumen seien Spuren des Rauschgifts gefunden worden. Abgeordnete, Mitarbeiter und andere Beschäftigte koksten teils offen. "Es herrscht eine Kokainkultur im Parlament", zitierte das Blatt eine Quelle. "Sie denken, dass sie unantastbar sind, geschützt von ihren Freunden in der Parlamentsblase." Die Verwaltung kündigte an, den Einsatz von Drogenspürhunden zu prüfen.
Größere Folgen hatten die Skandale bisher jedoch nicht. Das will Parlamentspräsident Lindsay Hoyle nun ändern. Im "Observer" regte er eine Radikalreform an: Dazu soll gehören, dass Mitarbeiter nicht mehr direkt von Abgeordneten eingestellt werden, sondern über eine externe Agentur. Dann soll es auch eine unabhängige Beschwerdestelle geben. Dies wären erste Schritte auf dem weiten Weg, den Ruf wiederherzustellen.
- Partygate: Premier auf Abruf
Großbritannien geht es nach Corona und Brexit schlecht - doch der Premierminister hat gefeiert. Boris Johnson hat sich viel herausgenommen in der Krise. Wahrscheinlich zu viel.