Sie ist Kanzler, hat neue Vorsitzende, einen neuen Generalsekretär und ist überhaupt mächtig stolz: Die SPD feiert sich heute bei einem Parteitag selbst. Doch Sorgen gibt es auch.
Die Freude darüber, wieder Kanzlerpartei und stärkste politische Kraft zu sein, ist trotzdem riesig. Die SPD platzt fast vor Stolz. Aber eben nur fast.
Erfolg eint die SPD
Kaum eine Rede bei diesem Parteitag in Berlin, die nicht an die Situation von vor zwei Jahren erinnert. 2019 war die SPD am Boden. Die Vorsitzende Andrea Nahles rausgemobbt, mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein unbekanntes Duo an der Spitze, die Umfragewerte lange im Bundestagswahlkampf in gefährlicher Nähe zur Einstelligkeit.
Jetzt ist alles anders. Erfolg eint offensichtlich. Alles andere wäre auch komisch. Olaf Scholz ist gerade mal vier Tage Kanzler. Oft hatte die Partei mit ihm gehadert, ihn vor zwei Jahren nicht als Vorsitzender gewählt, manchmal mit nur mageren 60 plus Prozent in den Vorstand. Jetzt ist er der starke Mann.
Scholz kann wieder mitreißen
Der plötzlich wieder engagiert reden kann. Seine ersten öffentlichen Äußerungen als Kanzler waren oft so bedächtig und nüchtern, als wolle er seine Vorgängerin Angela Merkel noch toppen. Am Samstag ist für Scholz wieder Marktplatz wie beim Wahlkampf. Diesmal geht es aber um die eigene Partei, nicht die Wählerinnen und Wähler.
Das System Scholz: beharrlich sein, Ausdauer zeigen, Tiefschläge bis zur Selbstverleugnung wegstecken.
Alle hätten die SPD abgeschrieben, sagt Scholz. Doch jetzt sei ein "Aufbruch" möglich. Sicherung von Arbeitsplätzen, ökologische Transformation, Digitalisierung, Zusammenhalt der Gesellschaft: all das könne die neuen Koalition verwirklichen:
Man wolle den Koalitionsvertrag jetzt Stück für Stück umsetzen, so Scholz. Dafür brauche er auch die Partei. "Ich setze darauf, dass ihr diese Arbeit unterstützt."
Klingbeil: "Es liegt jetzt an uns"
Als ein Vater des Scholzschen Erfolgs gilt Lars Klingbeil. Vier Jahre war der 43-Jährige Generalssekretär seiner Partei. Er steht dafür, dass die SPD aus dem Tief wieder herausgefunden hat. Und seine Partei dankt es ihm mit einem Vertrauensvorschuss und wählt ihn mit 86,3 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Vorsitzenden neben Saskia Esken.
Klingbeil will nicht nur zwei Jahre bleiben, wie sein Vorgänger Norbert Walter-Borjans. Oder nur so kurze Zeit wie Nahles oder Martin Schulz. Sein Anspruch, eine Weile an der Spitze zu bleiben, ist groß:
Der 43-Jährige glaubt: "Wir stehen an der Schwelle eines sozialdemokratischen Jahrzehnts." Inhaltlich müsse die SPD ein "Brückenschlag" gelingen, zwischen dem Startup in Mainz und den Arbeiter in der Lüneburger Heide. Und intern müsse die Partei im Team auftreten. Stolpern, so glaubt Klingbeil offenbar, könne die Partei nur über sich selbst: "Es liegt jetzt an uns."
Der neue SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Interview.
Mäßiges Ergebnis für Esken
Nicht alles in der SPD ist jedoch schmusig. Seine Mit-Vorsitzende Esken bekommt von den Delegierten fast zehn Prozentpunkte weniger als Klingbeil.
Vielleicht hat man ihr den Flirt mit einem Ministerium, auch manchen Fauxpas im Wahlkampf übel genommen. Zum Beispiel, als sie Scholz unterstellte, kein aufrechter Sozialdemokrat zu sein. Sie hatte sich dafür entschuldigt. Am Samstag noch einmal öffentlich: Scholz habe "sozialdemokratisches Herzblut", sagt Esken.
- Vier Gründe für die neue Harmonie in der SPD
98,8 Prozent Zustimmung zum Ampel-Koalitonsvertrag - das Ende der Koalition mit der Union scheint in der SPD interne Spannungen zu beenden. Vier Gründe für die neue Partei-Einheit:
Kühnert will Anwalt, Hüter, Kommunikator sein
Neuer Mann im Führungstrio der Partei: Kevin Kühnert. Ihn wählten die Delegierten mit 77,78 Prozent der Stimmen zu ihrem neuen Generalsekretär. Der 32-Jährige hatte schon vor dem Parteitag angekündigt, dass er die SPD programmatisch nachschärfen wolle. Dass nicht jeder Kompromiss der Ampel als Erfolg verkauft werden und Ideen bei Themen entwickelt werden sollten, in denen die SPD kein Ministeramt hat.
Das birgt Gefahren: Dass die Partei ein Machtzentrum neben der Regierung wird und Scholz beim Regieren ständig dazwischen funkt. Kühnert sagt, diese Vorstellung von einem Gegeneinander von Parteibasis und Regierung sei ein "Zerrbild". Dieses "Spielchen" werde er nicht mitspielen:
Fraktion und Regierung seien die Hände, die Partei sei Kopf und Herz. Kühnert sagt, er wolle "Anwalt der Partei" sein, "Hüter der Programmatik" und "Kommunikator" in die Öffentlichkeit. Die SPD dürfe sich nicht wie Angela Merkel in Kanzleramt und Parteizentrale eingraben, sondern müsse die Politik erklären. "Dafür stehe ich auch ganz persönlich."
Sorge vor Basta ohne Basis
Die Sorge, nach einer Kanzlerschaft ausgezehrt da zu landen, wo die Union heute nach Angela Merkel ist, ist deutlich zu spüren. Alexander Schweitzer, Arbeitsminister in Rheinland-Pfalz, kennt die Gefahren, wenn eine Partei lange regiert. Sie bleibe nur dann stark, sagt Schweitzer in der Aussprache, "wenn sie miteinander im Gespräch bleibt". Patricia Seelig will, dass "breit diskutiert" wird.
Stephan Grüger findet schon jetzt, an der Anfangszeit der Regierung, diese Probleme: Es passe nicht, sagt er, dass die meisten Anträge auf diesem Parteitag überhaupt nicht diskutiert würden. Und gleich von der Antragskommission "zur Beerdigung" vorgesehen seien. "Wir sollten Kurs und Debatte nicht scheuen“, sagt Grüger, der Landtagsabgeordneter in Hessen ist.
Alles kann, nichts muss
Die SPD steht jetzt wieder oben und ahnt, wie schnell das wieder vorbei sein kann. "Nur weil man sich daran gewöhnt hat, ist es nicht normal", singt die Gruppe Kettcar in ihrem Lied "Deiche". Der Hobbymusiker Klingbeil hatte das Lied vor vier Jahren bei seiner Bewerbung als Generalsekretär zitiert. Jetzt nennt er es wieder. Es könnte auch das SPD-Motto für die nächsten vier Jahre sein.
Nur weil die SPD jetzt Kanzler ist, muss das nicht so bleiben.