Zermürbungstaktik, Bombardierung, Eroberung - der russische Vormarsch in der Ostukraine erscheint langsam, aber stetig. Entscheidend für den Kriegsverlauf sind die Städte.
Erst Mariupol, dann Sjewjerodonezk und bestimmt bald eine andere Stadt: Die Ukrainer verteidigen ihre Städte mit hoher Opferbereitschaft, auch wenn eine Niederlage unvermeidbar scheint. Diese Strategie soll nicht nur den Vormarsch der russischen Armee verlangsamen, sondern auch die Moral der eigenen Truppe stärken.
Effektiv, aber verlustreich
Ein Vorgehen, das effektiv, aber auch verlustreich ist. Wochenlang hatten sich hunderte Ukrainer im Industriekomplex Azovstal verschanzt, als der Rest der südukrainischen Hafenstadt Mariupol schon unter russischer Kontrolle war. Auch in Sjewjerodonezk in der Ostukraine scheint die Eroberung durch russische Truppen nur eine Frage der Zeit zu sein.
Ukrainische Truppen versuchen die Stadt Sjewjerodonezk unter Dauerbeschuss zu verteidigen. ZDFheute live spricht mit dem Gouverneur der Region Luhansk über die Lage vor Ort.
Am Montag hatte die ukrainische Armee mitgeteilt, sich aus dem Stadtzentrum zurückgezogen zu haben. Doch aufgeben kommt nicht in Frage. Beide Städte sind inzwischen größtenteils zerstört, wochenlange Bombardierungen und Beschuss haben die Menschen dort an den Rand der Verzweiflung gebracht. Dabei ging es in beiden Fällen um unterschiedliche Ziele.
Fahnenflucht auf ukrainischer Seite?
So verlangsamte nach Ansicht von William Schneider von der US-Denkfabrik Hudson Institut die schwierige Eroberung der Hafenstadt Mariupol Russlands Offensive im Donbass in der Ostukraine erheblich. Seinen Schätzungen zufolge musste Moskau mehr als zwölf Bataillone am Asowschen Meer vorhalten, um die Hafenstadt einzunehmen.
Die erbitterten Kämpfe im Donbass gehen weiter. Die Stadt Sjewjerodonezk ist seit gestern von der Nachbarstadt Lyssytschansk abgeschnitten. Präsident Selenskyj verspricht seinen Landsleuten die Rückeroberung des gesamten Landes.
Sjewjerodonezk habe als Tor zur Donbass-Region eine "noch größere politisch-militärische Bedeutung", erläutert er. Doch die Methode der Ukraine ist kostenintensiv. Moskaus Truppen gewinnen Stück für Stück an Boden und bombardieren wahllos ihre Feinde. Das britische Verteidigungsministerium sprach in der vergangenen Woche von Fahnenflucht auf ukrainischer Seite.
Zermürbungskrieg: Viele Verluste
Kiew räumte kürzlich ein, dass es täglich etwa 100 Tote und 500 Verletzte zu beklagen habe. Auf russischer Seite könnte es noch schlimmer sein. Zwar fehlen zuverlässige Zahlen, doch die Geschichte zeigt, dass der Verteidiger weniger Verluste erleidet als der Angreifer. Sicher ist, dass es sich um einen Zermürbungskrieg handelt.
Sjewjerodonezk ist eine der letzten Städte im Oblast Luhansk, die Russland noch nicht eingenommen hat. Zehntausende Zivilisten sollen dort noch ausharren. Der Gouverneur fordert vom Westen Waffen mit großer Reichweite, um den Angriff abzuwehren.
Ivan Klyszcz von der estnischen Universität Tartu hält die ukrainische Strategie für "insgesamt sehr wirkungsvoll". Sollten sich allerdings die Ressourcen, das Kriegsmaterial und die ukrainischen Truppen erschöpfen, laufe sie Gefahr, "nicht mehr umsetzbar" zu sein.
Beobachter diskutieren derweil, welche Stadt als nächstes belagert wird. Klyszcz verweist auf ukrainische Erfolge im Gebiet der südukrainischen Hafenstadt Cherson, die seit Monaten unter russischer Kontrolle ist. Sie könnte demnach "in den nächsten Tagen und Wochen zu einer umkämpften Stadt werden".
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