Die Ukraine hat Frank-Walter Steinmeier ausgeladen. Ein Symbol, so der Publizist Albrecht von Lucke. Das schade Selenskyj selbst. Und: Das Bundespräsidialamt habe Fehler gemacht.
Nachdem der ukrainische Präsident einen Besuch von Bundespräsident Steinmeier abgelehnt hat, ist die Aufregung in der Politik groß.
ZDFheute: Die Ukraine hat Bundespräsident Steinmeier ausgeladen. Fällt ihm seine Vergangenheit auf die Füße?
Albrecht von Lucke: Frank-Walter Steineier hat das große Pech, dass sein Eingeständnis von Fehlern in der Ukraine nicht so schnell vergessen macht, wofür die Politik der Bundesrepublik und Steinmeier persönlich in den letzten 20 Jahren standen. Seine Bereitschaft, immer auf Russland zuzugehen, bis zu der Warnung noch nach der Annexion der Krim, die Ukraine solle mit dem Säbelrasseln gegen Russland aufhören, ist dort nicht vergessen.
Wir müssen uns immer eines bewusst machen: Während Deutschland fröhlich-sonnigen Ostertagen entgegensieht, als wäre alles normal, befindet sich die Ukraine in einer Kriegssituation, wie sie Europa seit 1945 nicht mehr erlebt hat. Das ist der Grund, warum Präsident Selenskyj seinem Amtskollegen Steinmeier so hart eine Absage erteilt.
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ZDFheute: Weniger das Hinhalten der Bundesregierung, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern?
Lucke: Natürlich muss man das alles vor dem Hintergrund sehen, dass die Ukraine keine symbolischen Besuche will, sondern vor allem eines: "Waffen, Waffen und Waffen", wie es ihr Außenminister Dmytro Kuleba ganz klar deutlich gemacht hat. Man weiß natürlich, dass Steinmeier als erster Mann im Staat ein wichtiges Zeichen der Solidarität gesendet hätte, aber einflussreicher ist der Bundeskanzler. Olaf Scholz ist der Mann, der als Regierungschef über die Unterstützung wirklich entscheidet.
US-Präsident Biden hat Russlands Präsident Putin des Völkermords bezichtigt. Währenddessen scheint Russland immer mehr Truppen in die Ostukraine zu verlagern.
ZDFheute: Die Ausladung war also …
Lucke: … trotzdem kein kluger Schachzug der ukrainischen Regierung. Erstens ist das natürlich ein dramatischer Affront gegen den ersten Mann der Bundesrepublik und damit ein Affront gegen die Bundesregierung, die der Ukraine im hohen Maß gewogen ist und sie auch finanziell wie materiell durchaus unterstützt. Und es ist zweitens ein Verzicht auf eine wichtige europäische Solidaritätsbekundung.
ZDFheute: Kann denn Scholz nun in die Ukraine fahren? Oder muss man den Affront damit beantworten, dass er gerade nicht fährt?
Lucke: Würde die Bundesregierung Größe zeigen und, so die bisherige Linie, der Ukraine in ihrer Kriegssituation weiterhin jede Schärfe nachsehen, gäbe es nach wie vor gute Argumente für den Kanzler, nach Kiew zu fahren. Allerdings ist jetzt bereits klar, dass die Bundesregierung und Teile der SPD-Fraktion die Sache völlig anders lesen, durchaus in eigenem Interesse.
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.
Man wird sich jetzt noch stärker hinter der Position verbarrikadieren: Wir fahren nicht hin.
Der wahre Grund der Zurückhaltung ist aber ein anderer: Die Bundesregierung ist sich noch gar nicht klar, was sie denn liefern will. Und mit leeren Händen sollte man in Kiew gar nicht erst erscheinen. Die Ukraine hat sich daher mit der Absage letztlich selbst geschadet. Am Ende dürfte keiner der beiden Staatsmänner nach Kiew reisen.
ZDFheute: Was bleibt an Steinmeier hängen, ist seine Glaubwürdigkeit dauerhaft beschädigt?
Lucke: An Steinmeier bleibt natürlich einiges hängen.
Steinmeier wäre gut beraten gewesen, bevor er Polen sein Mitfahren signalisiert, erst in Kiew ausloten zu lassen, ob sein Besuch überhaupt erwünscht ist.
Vor allem aber ist durch die Absage der deutschen Bevölkerung sehr deutlich geworden, dass Steinmeiers Eingeständnis von Fehlern der Ukraine nicht reicht. Dass man in Kiew nicht so schnell vergessen kann, dass Deutschland Russland gestützt hat und mit seinen Gasimporten faktisch auch weiter unterstützt.
Verteidigungsausschuss-Vorsitzende Strack-Zimmermann (FDP) kritisiert die Ukraine für die Absage des Besuchs von Bundespräsident Steinmeier. Sie hoffe auf eine schnelle Klärung.
ZDFheute: Das war er aber nicht allein.
Lucke: In der Tat. Steinmeier ist nur ein Symbol der gescheiterten deutschen Politik gegenüber Russland – aber vielleicht das wichtigste, weil er über 20 Jahre lang maßgeblich für diese verantwortlich war. Und deswegen erinnert diese Absage noch einmal an dieses Versagen und schadet auch Steinmeier persönlich.
Das ist natürlich ein bisschen ungerecht, denn andere sind damit aus der Schusslinie genommen, insbesondere Kanzlerin Angela Merkel oder gar ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der sich bis heute nicht von Putin distanziert hat.
- Scholz "irritiert" über Ausladung Steinmeiers
Kanzler Scholz hat sich "irritiert" über die Ausladung des Bundespräsidenten durch die Ukraine geäußert. Der Frage, ob er selbst nach Kiew reisen werde, wich er aus.
ZDFheute: Schadet es ihm so, dass er gehen müsste?
Lucke: Aber nein. Dieser Affront gegenüber dem Bundespräsidenten wird in der deutschen Bevölkerung nicht stark nachhallen. Und es ist auch etwas wohlfeil, immer nur auf die Verantwortung der Politiker zu verweisen. Man muss sich bewusst machen:
Die Regierungen unter Merkel und Schröder haben immer deutlich gemacht, dass ihnen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wichtiger sind als die geostrategische europäische Unabhängigkeit und letztlich auch wichtiger als die Solidarität zur Ukraine.
Und die deutsche Bevölkerung hat bei den diversen Wahlen immer wieder Ja zu diesem ausgesprochenen Kuschelkurs gegenüber Russland gesagt - und damit auch zu Nordstream I, II und Gazprom. Auch deshalb wird sich die Empörung über Frank-Walter Steinmeier in Deutschland in Grenzen halten.
Das Interview führte Kristina Hofmann.