Kurz vor Schluss noch mal verteilen? In Bundesministerien gibt es zusätzliche Stellen, Hunderte Beförderungen. FDP und Steuerzahlerbund finden das skandalös, der Bund eher nicht.
Ende September wird gewählt. Ob Union und SPD der nächsten Bundesregierung wieder angehören, ist Stand heute völlig offen. Schon in früheren Jahren gab es den Vorwurf, dass sich Bundesregierungen am Ende ihrer Amtszeit Pöstchen hin und her schieben, verdiente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in höhere Besoldungsstufen befördert werden. Jetzt gibt es den Vorwurf wieder.
Höchster Zuwachs im Wirtschaftsministerium
Nach Recherchen der FDP, über den die "Bild" zuerst berichtete, hat die Bundesregierung seit Anfang des Jahres so viele Stellen und Höherbesoldungen wie nie verteilt. "Operation Abendsonne" soll das Manöver heißen. Demnach sind insgesamt 71,5 zusätzliche Beamtenstellen in folgenden Ministerien geschaffen worden – Besoldungsstufe B3 (Grundgehalt 8.762,03 Euro) und B5 (9.856,81 Euro) -, die Beamte in Leitungsfunktionen bekommen.
- Wirtschaftsministerium: 18
- Verteidigungsministerium: 11
- Bildungsministerium: 11
- Justizministerium: 10
- Finanzministerium: 7
- Verkehrsministerium: 5
- Auswärtiges Amt: 4
- Arbeitsministerium: 4,5
- Entwicklungsministerium: 1.
Hinzu kommen Hunderte Höherstufungen. Allein im Justizministerium sind es 44, 16 davon auf A16 (Grundgehalt ab 6.255,58 Euro), acht auf B3. Im Kanzleramt wurden in diesem Jahr 25 neue Beamtenstellen geschaffen, 2019 keine.
FDP: "Schäfchen ins Trockene bringen"
Die FDP findet sowohl die zusätzlichen Stellen als auch die Höherstufungen "überdurchschnittlich". "Der Grund dafür ist klar", sagte Vizefraktionschef Christian Dürr. "Union und SPD fürchten einen Regierungswechsel und versuchen rechtzeitig, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen." Ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise "ist das ungeheuerlich", so Dürr zu ZDFheute:
Dürr konfrontierte auch heute Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) im Bundestag mit dem Vorwurf. "Wie erklären Sie das?", fragte Dürr. Laut Braun muss sich jedes Ministerium im Haushaltsausschuss des Bundestages für zusätzliche Stellen rechtfertigen:
Regierungssprecher Seibert: "Nicht ungewöhnlich"
Auch Regierungssprecher Steffen Seibert wies heute den Vorwurf zurück: Die Beförderungszahl sei "nicht ungewöhnlich", Stellenbesetzungen seien korrekt verlaufen: "Auswahlentscheidungen bei Stellenbesetzungen finden entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben statt", sagte Seibert.
Es sind nur noch wenige Monate bis zur Bundestagswahl und erstmals gibt es drei Personen, die Aussicht auf das Kanzleramt haben. Ein Kommentar von ZDF-Chefredakteur Peter Frey.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden dort alle neuen Stellen intern besetzt. Allein 2021 waren das im Ministerium von Annegret Kramp-Karrenbauer 103 neue Beamtenstellen, 2020 dagegen nur 47 neue, 2019 keine.
Wenn neues Personal eingestellt werde, betonte ein Sprecher, müsse das Ministerium nachweisen, ob neue Aufgaben hinzugekommen sind oder der Umfang größer geworden ist. Manche Stellen seien auch aus militärischen Dienstposten in zivile umgewidmet worden. Bedenkt man auch dies, komme man "zu einer ganz anderen Schlussfolgerung", so der Ministeriumssprecher.
Bund der Steuerzahler fordert Stopp der Aktion
Der Bund der Steuerzahler fordert ein Eingreifen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Angesichts der Corona-Krise darf nur eins gelten", sagte Präsident Reiner Holznagel zu ZDFheute:
Die Bundesregierung müsse wegen der Corona-Pandemie gerade Schulden in historischer Höhe aufnehmen, viele Menschen bangten um ihre Existenz. "Vor diesem Hintergrund greift keine Erklärung für das Vorgehen einzelner Minister, getreue Beamte jetzt zu befördern", so Holznagel.