Der Landesbischof von Hannover Meister fordert eine offene Diskussion über Sterbehilfe innerhalb der Kirche. Es solle befreit von "alten, zwingenden Ordnungen" debattiert werden.
Hoffnung auf einen würdigen Tod
Eva Kornmann wird ersticken. Die gelernte Metalldesignerin hat ALS. Nach und nach sterben ihre Bewegungsnerven im Rückenmark ab. Das möchte sie nicht miterleben. Sie möchte über den Zeitpunkt ihres Todes selbstbestimmen. Doch Sterbehilfe ist in Deutschland weitgehend verboten.
Als Begründung gilt die Tatsache, dass ein selbstbestimmter Tod nicht mit christlichen Wertvorstellungen vereinbar sei. Für Thomas Sitte von der Deutschen Palliativstiftung etwa steht fest: "Das ist eine Frage der Ethik und meine Ethik ist, dass ich glaube, dass wir einen großen Fehler begehen, wenn wir es regeln, dass wir den Todeszeitpunkt festlegen können wollen."
In Deutschland darf man selbstbestimmt sterben
Für die totkranke Eva Kornmann ist das ein vorgeschobenes Argument: Es läge daran, dass "keiner die Verantwortung übernehmen will. Über den Tod soll dann eben doch der liebe Gott bestimmen". Für Kornmann ist es nur schwer zu ertragen, warum in einem säkularen Staat wie Deutschland, Kirchenvertreter so viel Einfluss haben, dass sie mitentscheiden, wie Menschen sterben.
Seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil im Februar 2020 ist zumindest das Recht auf ihrer Seite - denn im Urteil heißt es: "Jeder hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben." Doch dafür, wie das konkret aussehen soll, fehlt noch immer die gesetzliche Grundlage.
Landesbischof von Hannover will eine offene Diskussion
Unterdessen bekennen sich mittlerweile sogar einige Geistliche offen zur Sterbehilfe. Einer von ihnen ist der Landesbischof von Hannover Ralf Meister:
"Du als junger Theologe hast mir dazu nichts zu sagen, sodass es für mich jetzt auch wirklich notwendig ist, dass wir eine offene Diskussion in unserer Gesellschaft, in der ganzen Gesellschaft darüber führen: Wie wollen wir das Miteinander regeln?"
Ralf Meister geht es bei der Sterbehilfe nicht um die Schuldfrage. "Entscheidend ist für mich zu allererst: Wie sieht eine barmherzige Begleitung dieses Menschen aus, der diesen Wunsch äußert?"
Hoffnung auf einen würdigen Tod
Gleichzeitig, so der Bischof, könne er gut damit leben, dass Menschen in der Art, wie sie die Bibel lesen, oder in der Art, wie sie ihren christlichen Glauben leben, sagen: Nein, das was der Bischof da sagt, das gehe nicht. Da gibt es das Tötungsverbot, da gibt es andere Stellen der Bibel. Die sprechen doch eigentlich dagegen.
Aber, so Meister: "Ich glaube, dass die Selbstbestimmung auch eine Qualität ist, die ich durch Gott geschenkt bekommen habe. Er hat mich zu einem freien Menschen gemacht. Frei auch, ich sage mal, von alten, zwingenden Ordnungen."
Achtung der Selbstbestimmung, aber Ablehnung von Geschäftsmäßigkeit
Deshalb wünscht sich der Bischof eine offene Diskussion - unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen:
"Wir fragen zunächst nach der Selbstbestimmtheit von Sterbewünschen", sagt die Ethikrat-Vorsitzende Prof. Alena Buyx. Denn nicht jede Entscheidung zur Selbsttötung sei wirklich wohlüberlegt.
Solange sich in Deutschland nichts an der Gesetzeslage ändert und selbstbestimmtes Sterben eine rechtliche Grauzone bleibt, wird Eva Kornmann in die Schweiz fahren - wo Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich erlaubt ist. Dort wird sie sterben, in einer fremden Wohnung, in einem fremden Land. Ihr Wunsch ist das nicht.