Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe haben schwerkranke Menschen keinen Anspruch auf Erteilung einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital.
Hans-Jürgen Brennecke und Harald Mayer sind zwei der fünf Kläger vor dem Verwaltungsgericht Köln. Brennecke hat bösartigen Lymphknotenkrebs - Burkitt-Lymphom. Vor drei Jahren wurde der 76-Jährige deswegen länger stationär im Krankenhaus behandelt, schwankte zwischen Leben und Tod. Momentan ist der Krebs unter Kontrolle.
Doch das kann sich schlagartig ändern. Hans-Jürgen Brennecke erklärt gegenüber dem ZDF: "Wenn er wieder auftritt, dann geht es bei dieser Krebsart besonders schnell. Das heißt: Ich habe dann nur noch Wochen, vielleicht nicht mal Monate. Und deshalb muss ich leider bei diesem langen Verfahren frühzeitig anfangen, falls der Fall eintritt."
Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht ein Anrecht auf selbstbestimmtes Sterben bestätigt. Das Urteil führte zu einer heftigen Debatte im Land.
Harald Mayer leidet seit 23 Jahren an multipler Sklerose. Der 50-Jährige ist seit vier Jahren auf den Rollstuhl angewiesen, kann nur noch den Kopf bewegen. Er benötigt eine Betreuung rund um die Uhr. Für ihn bedeutet jeder neue Tag neue Qualen.
Und: "Ich habe einen Notfall. Vergleichen sie es mit der Feuerwehr. Es brennt bei mir, ich rufe die Feuerwehr und es kommt niemand."
Für ein selbst bestimmtes Ende: Antrag auf Natriumpentobarbital
Beide möchten selbst bestimmen, wann und wie ihre Leben enden sollen. Schriftlich stellten sie Anträge auf eine tödliche Dosis Natriumpentobarbital beim BfArm. Eigentlich könnten beide ein Anrecht darauf haben. Denn das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied im März 2017, dass es sterbenskranken Menschen in besonderen Ausnahmefällen erlaubt sein soll, ein tödlich wirkendes Medikament zu bekommen.
Im November 2019 legte das Verwaltungsgericht Köln die Fälle von Brennecke und Mayer dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor. Kernfrage: Ist das Verbot der Medikamentenabgabe zum Zweck des Suizids mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar? Da gab es noch den § 217 Strafgesetzbuch, das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe.
Doch das Verfassungsgericht kippte Ende Februar 2020 dieses Verbot. Für die Fälle von Brennecke und Mayer bedeutete das: Die Fragen, die das Verwaltungsgericht Köln stellte, waren überholt, die Vorlage unzulässig. Denn die Frage, ob es zumutbar sei, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, anstatt todbringende Medikamente zu erwerben, stelle sich jetzt anders als in der Vorlage.
Möglichkeit auf ein anderes Medikament
Für das Verwaltungsgericht Köln, das die Klagen abgewiesen hat, besteht nach dem Verfassungsgerichtsurteil nun aber die Möglichkeit, dass sich die Kläger von Ärzten auch ein anderes Medikament als Natriumpentobarbital in einer tödlichen Dosis verschreiben lassen könnten.
Oder die Kläger könnten Sterbehilfeorganisationen kontaktieren, die "einen begleiteten Suizid auch ohne Inanspruchnahme von Natriumpentobarbital" ermöglichten, so das Gericht in seiner Pressemitteilung.
Doch das ist für die Kläger Brennecke und Mayer unzumutbar, wie ihr Anwalt Robert Roßbruch im exklusiven ZDF-Gespräch deutlich macht.
Roßbruch wird das Urteil mit seinen Mandanten besprechen und Rechtsmittel einlegen. Aus seiner Sicht sinnvoller, weil es auch eine Zeitersparung bedeuten würde, wäre nach der Ablehnung gleich eine höchstrichterliche Klärung beim Bundesverwaltungsgericht. Also jenem Gericht, das im März 2017 in Ausnahmefällen einen Anspruch auf eine tödliche Dosis Natriumpentobarbital gewährte.
Doch die Gegenseite, das beklagte BfArm, wird wohl auf den normalen Instanzenzug mit dem Berufungsgericht Oberverwaltungsgericht und Revisionsgericht Bundesverwaltungsgericht pochen, obwohl es auch den Weg der sogenannten Sprungrevision gebe, bei dem das Oberverwaltungsgericht als Berufungsgericht ausgelassen wird. Da müssen dann aber alle Seiten zustimmen. Es droht ein langer Weg.
Die politische Neuregelung der Sterbehilfe, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht allenthalben angekündigt wurde - sie ist auf die lange Bank geschoben worden. Leidtragende sind Betroffene wie Hans-Jürgen Brennecke und Harald Mayer. Sie werden nicht aufgeben und wollen weiter durchhalten.
Christoph Schneider ist Mitarbeiter der ZDF-Redaktion Recht+Justiz.