Mit strategischen Wahlentscheidungen wollen Wähler Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen. Erfolgreich ist das aber nur in den wenigsten Fällen, sagen Politikwissenschaftler.
Obwohl Wählen Macht ist, hat sich vor dieser Bundestagswahl bei vielen offenbar ein Gefühl der Ohnmacht eingestellt: Noch nie war so kurz vor der Wahl die Zahl derer so hoch, die zwar wählen wollen, aber noch nicht wissen, wen. Das geht aus einer repräsentativen Allensbach-Umfrage für die FAZ hervor.
"Bei dieser Wahl gibt es wenig, woran sich der Wähler festhalten kann", sagt Rüdiger Schmitt-Beck, Politikprofessor an der Uni Mannheim. Er kann sich vorstellen, dass einige Unentschlossene nun strategisch wählen wollen, um Kontrolle zurückzugewinnen.
Strategisch wählen als Fünf-Prozent-Hilfe
Denn das Ziel beim strategischen Wählen ist, Einfluss auf die Regierungsbildung zu nehmen, indem man nicht die favorisierte Partei wählt, sondern eine andere.
Lange Zeit war etwa die FDP eine Partei, die taktisch gewählt wurde. So plakatierte die Union bei der Neuwahl 1983: "Die FDP braucht Ihre Zweitstimme", um dem schwächelnden Koalitionsparter mithilfe von "Leihstimmen" über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen.
Heute könnte diese Taktik den Linken helfen, so Politikprofessor Schmitt-Beck. Laut aktuellem ZDF-Politbarometer liegt die Partei bei sechs Prozent. Befürworter einer rot-rot-grünen Regierung können ihr mit einer strategischen Stimme den Einzug in den Bundestag sichern.
Kaum Einfluss auf Regierungsbildung
Ansonsten scheint das Konzept bei dieser Regierungsbildung nicht mehr erfolgversprechend. Die Parteien brauchen jede Stimme für sich. Denn momentan heißt es: Alles kann, nichts muss. Nicht mal, dass die Partei mit den meisten Stimmen am Ende den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, ist sicher.
Deshalb bezweifeln Expertinnen und Experten, dass strategisches Wählen bei dieser Bundestagswahl erfolgreich sein kann. "Strategisch zu wählen, war nie unmöglicher als bei dieser Wahl", twitterte etwa Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin.
Auch der Mannheimer Professor Rüdiger Schmitt-Beck glaubt nicht, dass strategische Wahlentscheidungen die Regierungsbildung beeinflussen können. "Weil diesmal so viele Koalitionen möglich sind, hängt die Regierungsbildung weniger vom Wähler-Votum, sondern viel mehr von den Parteiführungen ab."
Verhinderungsstrategie für Kanzlerkandidaten
Wenn es den Wählerinnen und Wählern allerdings darauf ankommt, einen Kandidaten als Kanzler zu verhindern, dann gäbe es durchaus taktische Möglichkeiten, so die Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz von der Universität Duisburg Essen:
"Wenn ich Herrn Laschet als Kanzler verhindern will, muss ich die SPD wählen, weil ich nicht sicher sein kann, dass es im Falle starker Grüner und Liberaler nicht am Ende doch zu Jamaika kommt. Will ich Herrn Scholz verhindern, so muss ich die Union wählen aus demselben Argument nur mit Blick auf die Koalitionsoption einer Ampel."
Die Dokumentation „Der Kampf ums Kanzleramt“ begleitet die Drei Kandidaten beim Wahlkampf.
Strategisches Wählen geht nur gemeinsam
Bei der Wahlentscheidung sollte auch das chaotische Element von Wahlen bedacht werden. "Strategisches Wählen kann nur erfolgreich sein, wenn es gehäuft auftritt", so Schmitt-Beck.
Sprich: Als einzelne Person kann man nicht erfolgreich strategisch wählen, man muss sich koordinieren.
Schmitt-Beck geht deshalb davon aus, dass sich die strategischen Stimmen gegenseitig neutralisieren und keine großen Verschiebungen bewirken können.