Bereits die erste Anhörung zum Sturm aufs US-Kapitol zeigt den wahren Abgrund, vor dem Amerika stand - und immer noch steht. Ein Kommentar.
Die Finsternis war größer, als wir bisher wussten. Finster, ja, das war allen klar, die den 6. Januar hautnah miterlebt haben, die brutale Gewalt und den fanatischen Glauben der Täter, das absolut Gute zu tun. Aber schon die erste Anhörung macht den wahren Abgrund deutlich, an dem Amerika stand und immer noch steht.
Trump schützte nicht die Verfassung - er tat das Gegenteil
Erstmals in der Geschichte des Landes hat ein US-Präsident wider besseren Wissens, mit Vorsatz und in bösartiger Absicht die friedliche Übergabe des Amtes verweigert und einen Umsturzversuch gestartet. Trump dirigierte eine "vielstufige Verschwörung, um die Wahl zu annullieren, er erschuf einen Mob von Feinden von innen", sagt der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson.
Trump erzeugte "den gefährlichsten Moment für unsere Republik", ergänzt seine republikanische Stellvertreterin Liz Cheney. In seinem Amtseid verpflichtet sich jeder amerikanische Präsident, die Verfassung "zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen". Trump tat das Gegenteil. Das einzige Wort dafür ist Hochverrat.
- 6. Januar "Höhepunkt eines Putschversuchs"
Im US-Kongress haben die öffentlichen Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Sturm auf das US-Kapitol begonnen. Die Vorwürfe gegen Ex-Präsident Trump wiegen schwer.
Gewalt beim Kapitol-Sturm fand wegen und für Donald Trump statt
Finsterer geht es nicht? Doch: Dass die Aufständischen an jenem Tag "Hang, Mike Pence" riefen, wissen wir längst. Sie hätten den Vizepräsidenten wohl auch aufgehängt, wenn er in ihre Hände gefallen wäre. Aber was Donald Trump sagte, als ihm ein Mitarbeiter im Weißen Haus von den Rufen erzählte, das wissen wir erst jetzt: "Vielleicht haben unsere Unterstützer den richtigen Gedanken - Mike Pence verdient es." Das ist unanständig, ruchlos, ehrlos.
Die Gewalt fand wegen und für Donald Trump statt. Ein Video zeigt die Brutalität. Polizisten, die zu Opfern wurden, sitzen in der ersten Reihe, einigen laufen Tränen über die Wangen. "Es war ein stundenlanger Kampf", "ein Blutbad", eine "absolute Kriegszone", so beschreibt es kurz danach die erste Zeugin. Caroline Edwards war für die Capitol Police mittendrin und erlitt dabei eine schwere Kopfverletzung. Sie werde "Verräterin" genannt, sagt sie, aber "ich bin eine Patriotin, genau wie mein Großvater", der im Zweiten Weltkrieg verwundet wurde.
Republikanische Amtsträger verharmlosen und verbreiten Trumps Lüge weiter
Und was macht die Führung der republikanischen Partei? Die hat Angst vor der Wahrheit und vor Trump. Schon vor dem Hearing nennt es Kevin McCarthy ein Ablenkungsmanöver der Demokraten. Inflation, Benzinpreise und Kriminalität seien viel wichtigere Themen. Die Zahl der republikanischen Amtsträger, die den 6. Januar verharmlosen und Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl weiterverbreiten, wächst derzeit, statt zu schrumpfen.
Für diese Parteifreunde hat Liz Cheney eine klare Botschaft:
So ist es! Und wenn sie sich nicht besinnen, wenn sie weiter zu feige sind, ihren Wählern die Wahrheit zu sagen, wenn sie weiter die Lüge nähren und den Lügner verehren, dann liegt der finsterste Punkt der amerikanischen Demokratie noch vor uns - ihr Untergang.
Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Studios in Washington.