Der Wintereinbruch in Nordsyrien stürzt Geflüchtete in tiefes Elend. Die Lage sei "verheerend", berichten Helfer. IS-Terror und türkische Luftangriffe verschärfen die Not.
Die Frau, die das fürchtet, nennt sich Asma. In einem Wintersturm hat sie das Dach über dem Kopf verloren. Ein dünnes Zeltdach, das unter den Schneemassen zusammenbrach.
"Wir haben in dieser Nacht sehr gelitten", beklagt die sechsfache Mutter, die seit vier Jahren in einem Flüchtlingslager im Nordwesten Syriens lebt.
Erst Überschwemmungen, jetzt Winterstürme
Quelle: Hilfsorganisation Shafak
Nach den Überschwemmungen Ende vergangenen Jahres setzen nun heftige Schneestürme binnenvertriebenen Syrern zu. Etwa 1,7 Millionen Menschen leben in Nordwestsyrien in Flüchtlingscamps - die große Mehrheit von ihnen nach Angaben der Vereinten Nationen in Zelten.
Else Kirk, Syrien-Landesdirektorin der Welthungerhilfe, berichtet im Interview mit ZDFheute: "Diese Kinder, Frauen und Männer sind in den vergangenen Tagen nahezu schutzlos heftigen Schneestürmen ausgesetzt gewesen. Nachts sinken die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt. Die Lage der Menschen ist wirklich verheerend."
Kirks Kollege Halil Kurt berichtet von "mindestens 935 zerstörten und etwa 9.500 schwer beschädigten Zelten" in der Region.
Kein Heizmaterial bei Minustemperaturen
Shafak, eine Partnerorganisation der Welthungerhilfe, spricht von mehr als 10.600 Familien, die sich aktuell in den Regionen Idlib und Aleppo in einer "Hochrisiko-Situation" befinden, weil Zufahrtswege abgeschnitten seien und es an überlebenswichtigen Dingen mangele.
Laut dem UN-Flüchtlingsbericht sind derzeit mehr als 82 Millionen Menschen weltweit von ihrem Zuhause vertrieben. Die Zahl steigt bereits seit zehn Jahren an.
"Die Camp-Bewohner brauchen am dringendsten Nahrungsmittel, Trinkwasser und Heizmaterial", sagt Kirk: "Wir setzen alles daran, ihnen mit dem Nötigsten zu helfen." Nach eigenen Angaben unterstützt die Organisation mit ihrer Winternothilfe mehr als 100.000 Menschen in der Region.
Der Einsatz sei nötig, weil die Geflüchteten über so gut wie keine eigenen Mittel verfügten.
UN-Vertreter: Nicht genug Aufmerksamkeit für Syrien
Ihr Leiden nimmt kein Ende. Das Gefühl der Ohnmacht wächst. Helfer berichten, dass es für Menschen, die in Zeltlagern gestrandet seien, kein Zurück in ihr altes Leben gebe - und keinen Ausweg. Stattdessen macht sich das Gefühl breit, vergessen worden zu sein.
Mehr oder minder direkt beklagen das auch hohe Vertreter der Vereinten Nationen. Mark Cutts etwa, stellvertretender UN-Nothilfekoordinator für Syrien, sagte vor wenigen Tagen dem ZDF heute journal: "Ich denke, die Welt schenkt Syrien nicht genug Aufmerksamkeit."
Hilfsprojekte stark unterfinanziert
Die UN-Hilfsprojekte sind stark unterfinanziert. Ähnlich prekär ist die Lage bei anderen Organisationen. "Wirklich dramatisch ist, dass die Mittel bei weitem nicht ausreichen, um den Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen", sagt Kirk von der Welthungerhilfe.
"In Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen und den Vereinten Nationen versuchen wir aber zumindest, die größte Not zu lindern und den Familien das Überleben zu sichern", so Kirk.
IS-Terror und türkische Luftangriffe in Nordostsyrien
Im Vergleich zu Vertriebenen in Nordostsyrien haben jene im Nordwesten sogar noch Glück im Unglück. Denn im Nordosten wüten nicht nur Winterstürme, sondern auch IS-Terroristen. Zudem treffen türkische Luftangriffe auf die kurdische Miliz YPG auch Zivilisten.
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Der blutige Konflikt hat nun etwa die Organisation CARE dazu bewogen, ihre humanitäre Arbeit vorerst in weiten Teilen einzustellen, "da die Sicherheit der eigenen Mitarbeitenden und von Partnern aktuell nicht mehr gewährleistet werden kann", wie CARE mitteilt.
Hilfsorganisation CARE: "Absoluter Tiefpunkt erreicht"
"Die jüngsten Angriffe kommen zu einer Zeit, in der die Situation der Menschen bereits einen absoluten Tiefpunkt erreicht hat. Millionen Familien in Syrien wissen nicht, wie sie überleben sollen", sagt Jolien Veldwijk, CARE-Länderdirektorin in Syrien.
Die Organisation fordert deshalb alle Parteien dazu auf, "die Gewalt einzustellen, damit wir weiterhin überlebensnotwendige Hilfe leisten können".