Einheitsfeier in Erfurt: Wenig Euphorie, viele Sorgen
Tag der Deutschen Einheit:Feier in Erfurt: Wenig Euphorie, viele Sorgen
03.10.2022 | 16:38
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Krieg und Krisen haben die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt bestimmt. Politiker und Politikerinnen schlugen sorgenvolle Töne an.
Wenig Euphorie, eher sorgenvolle Töne. Es war der Tag der Deutschen Einheit, doch die Furcht vor Spaltung, Krieg und Krise schwang mit bei der zentralen Feier am Montag in Erfurt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), noch blass und hager nach seiner Corona-Quarantäne, bemühte noch einmal Alt-Kanzler Willy Brandt mit dem Satz vom Zusammenwachsen des Zusammengehörenden - dann sprach er über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und versuchte, die Energiesorgen der Menschen zu dämpfen. Beides lastet auf dem Land und der Politik 32 Jahre nach der Vereinigung.
Ramelow: Krisen zeigen, was vorher nicht gestimmt hat
Die Reden betonten wie üblich an diesem Feiertag Gemeinsamkeit und Solidarität, doch klangen eben auch Bedenken über ein erneutes Auseinanderdriften an: "Ob Corona-Pandemie oder Energieknappheit - die Krisen der Zeit zeigen, was vorher schon nicht gestimmt hat, und rücken die bestehenden Differenzen ins Licht der Scheinwerfer", sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Wirtschaftsstruktur, Arbeitswelt und Lebensweise ständen vor Veränderungen. "Das löst bei vielen Menschen Ängste und Sorgen aus", sagte der Linken-Politiker, der derzeit auch Bundesratspräsident ist.
Dabei hatte er wohl auch die Demonstrationen im Blick, die auch am Tag der Deutschen Einheit vielerorts in Ostdeutschland geplant waren.
Proteste in mehreren deutschen Städten geplant
In Erfurt selbst galt höchste Sicherheitsstufe, da war mit Protesten kaum zu rechnen. Aber allein im thüringischen Gera erwartete die Polizei mehrere Tausend Menschen auf der Straße. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin - überall brodelt es dieser Tage. Nicht nur im Osten, aber vor allem dort, wo ohnehin ein Gefühl des Zurückgesetztseins, des Fremdelns und der Enttäuschung bleibt - auch 32 Jahre nach der Vereinigung.
Kinderbetreuung, Lohnunterschiede, Lebenserwartung: In 32 Jahren Einheit haben sich Ost und West in vielen Bereichen angenähert - aber nicht in allen.03.10.2022 | 0:44 min
Dass dies auch im Westen des Landes mit Sorge gesehen wird, machte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas deutlich. Sie, die Westdeutsche, die den Mauerfall nach eigenen Worten in Duisburg erlebt hat, hielt die Festrede im Erfurter Theater. Und sie hatte eine zentrale Botschaft: in der Krise zusammenhalten, sich nicht angiften, Streit demokratisch austragen.
Wie wir miteinander umgehen, entscheidet wesentlich über die Stärke unseres Landes.
Bärbel Bas
Zehntausende kamen nach Erfurt
Traditionell richtet das Bundesland die zentrale Einheitsfeier aus, das den Präsidenten der Länderkammer stellt. Thüringens Landeshauptstadt Erfurt hatte sich auf die zentrale Einheitsfeier über Monate vorbereitet. Nach einem regnerischen Start des dreitägigen Bürgerfests wurde der Zustrom bis zum Montag immer größer: Ramelow sprach von 90.000 Besuchern allein bis Sonntag. Zehntausende begingen in Erfurt die Einheit - nicht als Jubelfeier, aber als Fest.
32 Jahre Wiedervereinigung: Grund zum Feiern. Doch der Feiertag fällt auch mitten in eine Krise – und der Umgang damit ist ganz unterschiedlich in Ost und West.
von Daniela Sonntag
Quelle: dpa, Simone Rothe und Verena Schmitt-Roschmann