Lange ein Schreckensgespenst, heute bittere Realität: Die Taliban haben die Macht in Afghanistan übernommen. Der Westen muss nun entscheiden: Wieviel Diplomatie ist angebracht?
Das Problem ist einer der Klassiker der Politik: Soll/darf man mit religiösen Extremisten wie den Taliban, die ihre Vorstellungen brutalst durchsetzen, direkt verhandeln - und sie damit auf Augenhöhe heben? Menschenrechtler warnen dringend davor. Aber was ist dann mit den vielen Menschen, die vielleicht durch Gespräche gerettet werden könnten?
Diplomat Potzel im Kontakt mit den Taliban
Ein direkter Kontakt mit den Taliban - also eine Art Kennenlerntreffen - kommt denn auch für Deutschlands Außenminister Heiko Maas - momentan auf viertägiger Rundreise in Sachen Afghanistan - erst einmal nicht infrage. Noch nicht.
Dafür trifft sich der Außenminister in Katar mit seinem derzeit wohl wichtigsten Diplomaten: Markus Potzel. Zwischen 2014 und 2016 war der schon einmal Botschafter in Kabul, wurde dann Afghanistan-Beauftragter der Bundesregierung, begleitete die Friedensverhandlungen in Doha und sollte eigentlich im August erneut in die afghanische Hauptstadt entsandt werden.
Potzel ist nun per WhatsApp in ständigen Kontakt mit den Taliban. Alle paar Tage steht ein persönliches Treffen an. Aber darf man das eigentlich? Mit Leuten verhandeln, die man lange Zeit als Terroristen angesehen hat, gegen die Bundeswehrsoldaten gekämpft haben und gefallen sind?
Kein Weg führt an den Taliban vorbei
Fakt ist: Wer in Afghanistan etwas erreichen will, kommt an den Taliban nicht mehr vorbei. Und die Bundesregierung will etwas erreichen, sogar sehr dringend: Mehr als 40.000 Menschen warten darauf, das Land mit ihrer Hilfe zu verlassen. Und das geht nicht ohne den guten Willen der Machthaber. Die kontrollieren die Straßen zur Grenze mit Checkpoints. Und auch der Flughafen ist unter ihrer Kontrolle.
Auch andere westliche Staaten suchen den Kontakt. Alle eint eine schlichte Erkenntnis, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung vergangene Woche so formulierte:
Reiner Pragmatismus
Es ist eigentlich eine absurde Situation: Um die Ausreise der Schutzsuchenden zu ermöglichen, muss die Regierung mit denjenigen kooperieren, vor denen sie diese Leute eigentlich schützen will. Aber eine Alternative gibt es nicht.
Es ist also reiner Pragmatismus, aus dem die Bundesregierung mit den Taliban verhandelt. Es gibt auch einen ersten Erfolg. Die Taliban haben Potzel vergangene Woche sicheres Geleit für die Schutzsuchenden zugesagt.
Es gibt aber Anzeichen dafür, dass das klappen könnte. Am Montag, während Maas in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad Gespräche führt, schafft es ein erster größerer Konvoi Schutzsuchender über die Grenze in das Nachbarland.
Wie hoch ist der Preis?
Aber was ist der Preis für die Kooperationsbereitschaft der Taliban? Den Islamisten geht es in den Verhandlungen vor allem um zwei Dinge: Geld und Anerkennung.
Deutschland hatte Afghanistan eigentlich Hilfsgelder in Höhe von 430 Millionen Euro für dieses Jahr zugesagt. Die sind nun zum größten Teil auf Eis gelegt. Nur Nothilfe etwa für Binnenflüchtlinge wird noch gezahlt. Potzel hat aber die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe unter bestimmten Bedingungen in Aussicht gestellt - sein wichtigster Hebel in den Gesprächen.
Die Gespräche über Lösungen könnten schon bald in Kabul stattfinden. Die Taliban sind dabei, ihre Vertretung in Doha zurück in die Heimat zu verlagern.
Warnungen vor einer Isolation Afghanistans
Und auf deutscher Seite hat man sich entschieden, zumindest den kurzen Draht zu den Taliban nicht abreißen zu lassen. Sogar die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kabul, die erst vor wenigen Tagen fluchtartig verlassen wurde, scheint möglich. Anders sieht es mit der diplomatischen Anerkennung aus. Damit können die Taliban erst einmal nicht rechnen.
Seine Reise dürfte Maas jedenfalls darin bestärkt haben, mit den Taliban baldmöglichst intensive Gespräche zu führen. Vor allem Pakistan und Katar, wo man die Taliban mit am besten kennt, warnen vor einer Isolation Afghanistan.
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