Midterms: US-Demokratie steht auf dem Spiel

    Trumps langer Schatten:Midterms: US-Demokratie steht auf dem Spiel

    Elmar Theveßen
    von Elmar Theveßen
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    Die US-Gesellschaft ist tief gespalten. Die anstehenden Zwischenwahlen könnten über die Zukunft entscheiden - und Donald Trump den Weg zurück ins Weiße Haus ebnen.

    "Demokratie ist, wenn die Mehrheit die Minderheit zu Tode knüppeln will, das ist Demokratie", sagt Kristina Karamo. Solch ein Satz würde uns kaum aufschrecken, wenn wir ihn am Rande einer Kundgebung von Donald Trump aus dem Mund eines seiner Anhänger gehört hätten. Aber Karamo ist die republikanische Kandidatin für das Amt der Innenministerin in Michigan. Würde sie am 8. November gewählt, wäre sie oberste Wahlaufseherin in ihrem Bundesstaat.
    Etwas Merkwürdiges greift um sich in den USA - eine historisch begründete Demokratieverachtung. Sie ist uns auf unserer Reise durch Arizona, North Carolina und Michigan immer wieder begegnet, befeuert von trumpistischen Kandidat:innen für wichtige Ämter, wie Gouverneure, Innen- und Justizminister, Senatoren und Abgeordnete.

    US-Demokratie steht auf dem Spiel

    Sie machen sich den Umstand zunutze, dass in der amerikanischen Verfassung Worte wie "Demokratie" oder "demokratisch" nicht vorkommen. Tatsächlich stritten sich die Gründungsväter beim Entwurf des Dokuments darum, ob man als Kontrast zur absoluten Monarchie des Kolonialreichs England eine direkte Demokratie einführen sollte. Am Ende fanden sie einen weisen Kompromiss.

    Keyvisual auslandsjournal 2018
    Die auslandsjournal-Doku "Trumps langer Schatten" von USA-Korrespondent Elmar Theveßen und Annette Brieger sehen Sie am Mittwoch, 2. November 2022, um 22:15 Uhr im ZDF und jederzeit in der ZDFmediathek zur Verfügung.

    Die Demokratie sollte durch verfassungsmäßige Menschen- und Bürgerrechte, sowie Gesetze und Regeln eingegrenzt werden, sodass die individuellen Freiheiten der Bürger garantiert waren. Politikwissenschaftler nennen das heute konstitutionelle oder repräsentative Demokratie, aber Karamo und ihre Gesinnungsfreunde bestreiten das.
    "Wir sind eine konstitutionelle Republik", beharrt Karamo bei unserem Gespräch am Rande eines Wahlkampfauftritts in der Nähe von Detroit, "eine Demokratie ist die Herrschaft des Mobs. Die Republik beschützt die Rechte der Minderheiten."
    Wer so etwas behauptet und dann auch noch Donald Trumps Lüge von der angeblich gestohlenen Präsidentschaftswahl verbreitet, hat gute Aussichten, gewählt zu werden.

    Trump-Anhänger unterstützen Wahllüge

    Das gilt auch für die republikanische Gouverneurskandidatin in Arizona. Kari Lake gilt als eine Art weiblicher Trump. Die 53-jährige Mutter von zwei Kindern inszeniert sich in ihren Wahlwerbespot als Verteidigerin der amerikanischen Grenze gegen illegale Zuwanderung, die sie gern als "Invasion" bezeichnet.
    Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Auslandstudios Washington
    Vor den Midterms seien die USA "tief gespalten" und "da ist ein Hass vorhanden", der von Kandidaten der republikanischen Partei bereitet worden sei und "fruchtbaren Boden für Gewalt" biete, so der Leiter des ZDF-Studios Washington, Elmar Theveßen.01.11.2022 | 5:17 min
    Wir treffen Lake in einem Bistro in Scottsdale, einem Vorort von Phoenix. Bis 2021 war sie eine Kollegin - Nachrichtenmoderatorin, Journalistin -, also der Wahrheit verpflichtet. Sie ging, weil die Medien ihr verlogen erschienen. Dafür und für ihre sehr persönlichen Attacken auf politische Gegner wird sie an diesem Abend gefeiert. "Ich fühle mit Joe Biden", ruft Lake von der Bühne, "ich hatte eine Großmutter mit Demenz. Er ist auch so ein Fall."

    Schicksalswahl für Biden-Administration

    Lake ist für ein totales Abtreibungsverbot und verbreitet Trumps Wahllüge. Wir fragen sie, warum sie den Begriff Demokratie für die USA ablehnt. "Amerika ist eine konstitutionelle Republik, und die werden wir behalten. Ich bin begeistert, dass sich so viele Patrioten, die die Verfassung verstehen, um Ämter bewerben. Wir werden unsere Verfassung wieder ehren und jedermanns Rechte wiederherstellen."
    Ich will sichergehen, dass ich sie verstehe. Wenn sie den Verlust von Freiheiten beklagt, ist daran also aus ihrer Sicht die Demokratie schuld? Sie antwortet: "Wenn die liberale Presse fragt, ob die Demokratie in Gefahr ist, dann meint sie damit, dass wir keine ehrlichen Wahlen wollen. Aber wir wollen ehrliche Wahlen in Arizona. Auf dem Spiel steht, dass wir unser Land verlieren, wenn wir eine weit offene Grenze haben und keine ehrlichen Wahlen."
    Die USA vor den Midterm-Wahlen
    Die anstehenden Zwischenwahlen könnten über die Zukunft der Vereinigten Staaten entscheiden.01.11.2022 | 1:59 min
    "War die Präsidentschaftswahl nicht ehrlich?", will ich wissen. Lakes Antwort: "Ohne ehrliche Wahlen, steht die Demokratie in unserem Land auf dem Spiel, ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen. Sie sind ja nicht aus Amerika. Recherchieren Sie das mal ein bisschen."
    Habe ich, wie oben beschrieben. Demnach ist die merkwürdige Theorie wohl vor allem eine perfide Masche, um das Konzept der Demokratie zu diskreditieren. Umso mehr, als damit dann auch die gegnerische Partei diskreditiert wird, die ja das Unwort in ihrem Namen trägt. Wie weit das führen kann, erleben wir am Folgetag bei den Oath Keepers, einer Bürgerwehr, nach eigenen Angaben mit knapp 40.000 bewaffneten Mitgliedern, vor allem ehemalige und aktive Soldaten und Polizisten. Sie haben geschworen, die Verfassung zu verteidigen, notfalls mit Gewalt.

    Alle Mittel sind recht, um Wahl-Vorteile zu erringen

    Mit der Waffe am Gürtel bringen sie den Teilnehmern ihres Workshops bei, wie man schwere Blutungen stillt, Funkgeräte bedient und eigene Medikamente herstellt. Vorbereitung auf alle Ernstfälle - Naturkatastrophen, Atomkriege, den Kampf um ihr Amerika.
    Uns fällt eine Zeitung auf, die hier verteilt wird. Auch die 'Patriots Free Press' warnt vor Kommunismus, der Covid-Lüge, der Nato und grünen Extremisten. Im Leitartikel erwägt die Chefredakteurin Leesa Bolden, die Todesstrafe für Hochverrat für alle jene abtrünnigen Republikaner, die sich gegen Donald Trump stellen.
    Wir fragen nach, wie ernst sie das meint. "Bis vor drei Jahren", so Bolden, "hätte ich noch nein gesagt, weil Töten nicht okay ist. Andererseits bin ich jetzt überzeugt, dass man wohl ein Exempel statuieren muss. Und wir müssen vielleicht auch Leute wie die Clintons enthaupten."
    Wir fühlen uns an Karamos Definition von Demokratie erinnert, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die Demokratieverachtung wird gefährlich für Amerika.
    Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios in Washington.

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