Tausende Tschetschenen kämpfen auf Seiten Moskaus in der Ukraine - obwohl viele eine komplizierte Beziehung zu Russland verbindet. Der Kreml hat für sie eine spezielle Rolle.
In den harmloseren Aufnahmen fahren sie mit Motorrädern durch ukrainische Dörfer, feuern in die Luft, posieren in die Kamera, rufen Allahu Akbar - "Gott ist der Größte". In den weniger harmlosen filmen sie Leichen, zeigen Gefechte etwa in Mariupol oder zitternde Kriegsgefangene: Mit zum Teil martialischen Gesten präsentieren sich einige tschetschenische Kämpfer auf Social Media während ihres Kriegseinsatzes in der Ukraine.
Tausende von ihnen kämpfen auf Seiten der russischen Armee, für Wladimir Putin - vor allem aber für Ramsan Kadyrow. Viele der Kämpfer sind sogenannte "Kadyrowtsy", eine Art paramilitärische Privatarmee des tschetschenischen Machthabers.
Kadyrows Auftritt in den sozialen Medien
Fleißig teilt er Videos der Tschetschenen bei Telegram oder TikTok und nutzt die Plattformen als Sprachrohr für seine Sicht der Dinge: Während er seine Kämpfer als "furchtlose Wölfe" bezeichnet, sind die ukrainischen Soldaten in seinen Augen "Nazis" und "Banditen". Allein bei Telegram hat Kadyrow mehr als zwei Millionen Follower.
Es entsteht der Eindruck, dass sich die tschetschenischen Kämpfer in den sozialen Medien deutlich exponierter zeigen als die russischen Truppen. Und das nicht ohne Grund. Denn diese Auftritte folgen einem bestimmten Zweck - und zeigen, welche Rolle die tschetschenischen Kämpfer in Russlands Krieg spielen.
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Welche Ziele verfolgen Kadyrow und seine Kämpfer?
"Anders als die russische Armee, haben die Kadyrowtsy Smartphones und Tablets - und hier sicherlich auch nur diejenigen, die diese im Sinne von Kadyrow selbst einsetzen", erklärt Miriam Katharina Heß, Tschetschenien-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Heß zufolge verfolgen diese Auftritte vor allem zwei Ziele: Sie seien zum einen Mittel, um das Narrativ der "schrecklichen, kampferprobten und brutalen" Tschetschenen in der Ukraine zu bedienen, und zum anderen eine Möglichkeit für Kadyrow, seine eigene Bekanntheit zu steigern.
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Welche Rolle spielen die Tschetschenen für Putin?
Und hier offenbart sich auch die Rolle, die Putin den tschetschenischen Truppen in seinem Krieg zuteilwerden lässt: "Grundlegend ist die Rolle pro-russischer Kämpfer aus Tschetschenien das Hauptinstrument einer psychologischen Kriegsführung Russlands in der Ukraine", sagt Heß.
Was berichten Zivilisten in der Ukraine?
Dieses Narrativ verfängt - und spiegelt sich zum Teil in dem wider, was ukrainische Zivilisten berichten. "In einigen Gesprächen mit Menschen etwa in Butscha, Irpin oder Borodjanka haben Bewohner, die die russische Besatzung erlebt haben, von tschetschenischen Kämpfern gesprochen, die besonders brutal gegen die Menschen vorgegangen seien", berichtet ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf aus der Ukraine.
Auch ZDF-Reporter Arndt Ginzel sprach vor Ort mit Zivilisten, die einzelne Gräueltaten tschetschenischen Kämpfern zuordneten - unter anderem auf einer Straße nahe Kiew, auf der flüchtende Menschen beschossen wurden. "Aber die meisten, die ich getroffen habe, machten keine Unterscheidung, ob eine Tat nun von russischen oder tschetschenischen Soldaten begangen wurde", sagt Ginzel.
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Tschetschenen kämpfen auch auf Seiten der Ukraine
Eines unterschlägt die selbstbewusste Eigendarstellung der pro-russischen Tschetschenen aber: Dass viele Tschetschenen nicht freiwillig für Putin und Kadyrow in den Kampf ziehen. "Ein Großteil der Kämpfer, die im Ukraine-Krieg kämpfen - und die wir nicht in den Social-Media-Auftritten sehen - sind Personen, die zum Kampf gezwungen werden", sagt Miriam Katharina Heß.
Zudem geht ein anderer Aspekt oft unter: Die Tatsache, dass Tschetschenen auch auf Seite der Ukraine gegen Russland kämpfen, zum Teil schon seit 2014 - viele von ihnen sind auch geprägt durch die Erfahrungen der Tschetschenien-Kriege. Darunter etwa Kämpfer des Scheich-Mansur-Bataillons, benannt nach dem ersten Imam des Nordkaukasus.
"Tschetschenien wird immer eine besondere und für uns amibivalente Beziehung mit der russischen Zentralregierung verbinden", erklärt Heß. Ambivalent ist diese Beziehung auch, weil das Vorurteil des "brutalen" Tschetschenen Tradition in Russland hat - und nun vom Kreml bewusst für den eigenen Krieg in der Ukraine instrumentalisiert wird.
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