Seit Jahren ist die Oppositionspartei in der Türkei Repressalien ausgesetzt. Nun soll die HDP wegen angeblicher Terrorverbindungen verboten werden. USA und EU sind besorgt.
Die prokurdische Oppositionspartei HDP in der Türkei wehrt sich gegen ein drohendes Verbot und wirft der Regierung eine Abschaffung der Demokratie vor. Die türkische Führung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibe seit Jahren eine "Gewalt- und Unterdrückungspolitik" gegen die Partei, sagte die Co-Parteichefin der zweitgrößten Oppositionspartei, Pervin Buldan, in Ankara.
Ihr Co-Vorsitzender Mithat Sancar sagte, das wahre Ziel des Verbotsantrags sei die Abschaffung der Hoffnung auf Demokratie und die "Institutionalisierung des Faschismus". Die USA, die Europäische Union und die Bundesregierung reagierten besorgt.
Politikverbot für über 680 Politiker beantragt
Die türkische Führung übt immer wieder Druck auf die Oppositionspartei aus. Am Mittwoch überschlugen sich die Ereignisse: HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioglu - bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz für Menschenrechte - verlor sein Mandat als Abgeordneter wegen eines rechtskräftigen Urteils. Er harrt im Parlamentsgebäude aus.
Kurz darauf beantragte der von Erdogan eingesetzte Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs unter anderem wegen Terrorvorwürfen beim Verfassungsgericht das Verbot der HDP. Erdogan wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein, was die HDP zurückweist.
Der Generalstaatsanwalt verlangte zudem ein fünfjähriges Politikverbot für mehr als 680 HDP-Politiker, unter anderem für die Parteichefs Buldan und Sancar sowie für den seit 2016 inhaftierten ehemaligen Vorsitzenden Selahattin Demirtas. Das Verfassungsgericht muss die Klage noch annehmen.
Die Türkei galt lange als letzte Bastion der Demokratie im Mittleren Osten, trotz aller politischer Ereignisse. Doch nun ist die türkische Demokratie ins Wanken geraten.
Schatten auf Erdogans Reformpolitik
Die aktuellen Entwicklungen werfen auch einen Schatten auf Erdogans angekündigte Reformpolitik. Der 67-Jährige strebt eine Annäherung an den Westen an, die unter anderem mit der wirtschaftlichen Situation der Türkei und dem Regierungswechsel in den USA zusammenhängen dürfte.
In einer ersten Reaktion teilte das US-Außenministerium mit, eine Auflösung der HDP würde den Willen der türkischen Wähler untergraben. Man fordere Ankara auf, die Meinungsfreiheit im Sinne der türkischen Verfassung und gemäß internationaler Verpflichtungen zu respektieren.
Die EU äußerte sich ähnlich und erklärte zudem, die Entwicklungen nährten Bedenken an der Glaubwürdigkeit von Reformversprechen. Die Bundesregierung äußerte sich besorgt. "Der Fall der HDP wirft erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit auf", teilte das Auswärtige Amt mit. Man werde das weitere Verfahren aufmerksam beobachten. Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth erklärten:
Umfragen zufolge verliert der Präsident an Unterstützung in der Bevölkerung. Die Parlaments- und Präsidentenwahlen könnten von 2023 vorgezogen werden.
Mirjam Schmitt, dpa