Gegen Griechenland: So profitiert Erdogan vom Ukraine-Krieg
Konflikt Türkei-Griechenland:Erdogans Machtpoker klappt dank Ukraine-Krieg
von Luc Walpot, Istanbul
29.07.2022 | 08:53
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Der Ukraine-Krieg verschafft dem türkischen Präsidenten Erdogan diplomatische Erfolge. Die nutzt er als Munition im Konflikt mit Nachbar Griechenland. Auch weil Wahlen anstehen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt auf Konfrontation - auch gegen Verbündete wie Griechenland. (Archivbild)
Quelle: AP
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat einen Lauf. Gipfel mit Putin in Teheran, Getreideabkommen mit UN-Chef Guterres in Istanbul, Schulterklopfen und höchste Aufmerksamkeit als Teilnehmer des Nato-Gipfels in Madrid. Beflügelt von so viel internationaler Bedeutung sieht Erdogan die Zeit gekommen, seine Vision eines starken, souveränen Global Players Türkei jetzt noch schneller, und noch aggressiver, umzusetzen.
Bündnissolidarität, regionale Partner, wirtschaftliche Abhängigkeiten: Kann man berücksichtigen, muss man aber nicht, wenn man genug Druckmittel in der Hand hat. Die geopolitischen Umwälzungen der letzten Jahre, vom gescheiterten arabischen Frühling, dem Zusammenbruch Afghanistans bis zum russischen Ukraine-Krieg haben der Türkei eine Schlüsselrolle gewissermaßen in den Schoß fallen lassen. Und die nutzt Erdogan ebenso geschickt wie skrupellos.
Man versuche so schnell wie möglich den Getreideexport in Gang zu bekommen und zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln, berichtet ZDF-Korrespondent Luc Walpot aus Istanbul.28.07.2022 | 3:04 min
Wie Erdogan im Griechenland-Konflikt zündelt
Ein Beispiel sind die zunehmend scharfen Kriegsdrohungen gegen den Nachbarn Griechenland. Neu ist der Konflikt wahrlich nicht. Er reicht von der Antike und der osmanischen Eroberung Konstantinopels bis zum griechischen Angriff auf das zusammenbrechende Osmanische Reich 1919, der für die Griechen in einer Katastrophe endete. Und der Besetzung Nordzyperns durch türkische Truppen 1974.
Erst jüngst standen sich die Kriegsflotten beider Nato-Partner bis an die Zähne bewaffnet und angriffsbereit im Mittelmeer gegenüber. Erdogan hatte seine Ansprüche auf mögliche Erdgasvorkommen vor Zypern angemeldet und drohte, das auch militärisch durchzusetzen. Das war vor zwei Jahren. Der Konflikt konnte nur halbwegs entschärft werden.
Griechische Inseln vor der türkischen Küste.
Quelle: ZDF
Der Traum vom neuen Osmanischen Reich
Inzwischen geht es im Dauerstreit zwischen Ankara und Athen um weit mehr als nur Ressourcen. Immer wieder dringen türkische Kampfflugzeuge in den griechischen Luftraum ein. Die Türkei droht den Griechen offen mit Gewalt, wenn Athen nicht sein Militär von einem Dutzend griechischer Inseln in der Ägäis, vor der türkischen Küste, abzieht. Ankara beruft sich dabei auf Verträge aus dem letzten Jahrhundert.
Erdogan warnte die Griechen auf Twitter, sie sollten nicht von Dingen träumen, die sie später bereuen würden. Das kommt gut an beim Wahlvolk. Der Präsident bedient damit die Sehnsucht vieler Türken nach einer Renaissance osmanischer Größe. Dass die Ägäis doch eigentlich zur Türkei gehöre, finden viele Türken nur allzu verständlich.
Die Türkei pokerte hoch, lehnte eine Nato-Erweiterung lange ab - und setzte sich am Ende durch. Präsident Erdogan hat seine Karten jedoch mit Bedacht gespielt. Eine Einschätzung.29.06.2022 | 2:27 min
Sie lernen schon in der Schule, dass das Osmanische Reich nur durch die durchtriebenen Machenschaften der Kriegstreiber Frankreich, England und Russland zugrunde ging und es dem türkischen Übervater Atatürk dann in heroischem Kampf gelang, die letzten Reste des Reiches militärisch zurückzuerobern. Logischer Schluss: Alle anderen Gebiete wurden uns ja zu Unrecht entrissen.
Nationalismus vor den Präsidentschaftswahlen 2023
Dabei steht Erdogan mit seinen Attacken gegen Griechenland im politischen Spektrum der Türkei noch als gemäßigt da. Sein ultranationalistischer Koalitionspartner Devlet Bahceli forderte bei einem Treffen mit den faschistischen Grauen Wölfen gleich die gesamte Osthälfte der Ägäis zurück, und Kreta noch obendrein.
Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu fühlte sich bemüßigt, Erdogan im nationalistischen Furor zu übertreffen: Er forderte unverblümt den sofortigen Angriff:
Nehmen sie die Inseln ein. Unsere Unterstützung haben sie!
Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu
Die aufgeheizte Stimmung, schätzt der Politologe Hasan Ünal von der Maltepe Universität Istanbul, wird schwer unter Kontrolle zu halten sein. Zumal im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen und Erdogan wegen galoppierender Inflation im Umfragetief steckt.
Griechenland rüstet auf - und sucht Verbündete
Die Griechen verstärken derweil ihr Rüstungsarsenal. Und suchen nach internationalen Verbündeten gegen die Türken. Was die Wut in Ankara weiter steigert, sind vor allem die geschickten Versuche des griechischen Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis, Waffenlieferungen der Nato-Partner an die Türkei zu stoppen.
So appellierte Mitsotakis vor dem Kongress in Washington, den Türken keine neuen Kampfjets zu liefern. Und von Außenministerin Baerbock will er die Zusage, dass Deutschland die Lieferung moderner U-Boote an Ankara verhindert. Das trifft Erdogan an einem empfindlichen Punkt.
Um seinen Machtzuwachs in der Region abzusichern, braucht der türkische Staatschef eine bestens ausgestattete, hochgerüstete Armee. Seit Jahren finanziert Ankara deshalb mit Milliardenbeträgen die Entwicklung anspruchsvoller eigener Waffen, bis hin zu bewaffneten Kampfdrohnen.
Erdogan kauft Waffen auch bei Putin
Wo die eigene Technologie nicht ausreicht, geht Ankara unkonventionelle Wege. Man beschafft moderne Systeme, wo sie zu haben sind, etwa Flugabwehrraketen in Russland - sehr zur Freude des russischen Präsidenten Putin. Die Empörung der Nato-Partner nimmt Erdogan dabei gelassen in Kauf. Er weiß, dass sowohl Europa als auch die USA derzeit nicht willens und in der Lage sind, die Türkei zu isolieren und damit noch größere Verwerfungen zu riskieren.
Entsprechend selbstbewusst tritt der türkische Präsident auf. Ende Mai lud er die Nato-Partner zu einer großen internationalen Militärübung in Izmir ein. Im Mittelpunkt steht, ganz zufällig, eine groß angelegte Marine-Invasion zur Eroberung einer fiktiven Insel irgendwo im Mittelmeer. Amerikanische, französische und italienische Truppen waren vertreten, die Griechen nicht. Ihr empörter Protest versandete im Nato-Hauptquartier.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.