Im Mittelmeer-Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland droht eine Eskalation. Ankara schickt ein neues Bohrschiff los, um in umstrittenen Gewässern nach Gas zu suchen.
Griechenland und die Türkei streiten schon lange um Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Nun ist wieder ein türkisches Gas-Bohrschiff unterwegs. Droht eine neue Eskalation?
Mit großem Presseaufgebot schickt Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag das türkische Erdgas-Bohrschiff "Abdülhamid Han" auf die Reise ins Mittelmeer. Das neue Schiff trägt den Namen des letzten osmanischen Sultans, der Anfang des 20. Jahrhunderts von nationalistischen Militärs, den sogenannten "Jungtürken" gestürzt wurde.
Die Botschaft Erdogans, türkische Größe und nationalen Stolz auszustrahlen, würde man eigentlich nicht mit dem Namen "Abdülhamid Han" verbinden. Um türkische Machtambitionen geht es aber bei der Veranstaltung. Am roten Schiffsrumpf prangt ein überdimensionierter türkischer Halbmond, von der Brücke hängt für die Kameras noch einmal eine 12 Meter hohe türkische Flagge.
Route könnte zu militärischer Eskalation führen
Wo das Schiff nach Erdgas bohren will, wurde im Vorfeld nicht mitgeteilt. Es besteht aber kaum ein Zweifel daran, dass es irgendwo im Dreieck zwischen der türkischen Küste und den Inseln Zypern und Kreta unterwegs sein wird. Und damit den Konflikt wieder aufflammen lässt, der bereits vor zwei Jahren fast zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Nato-Verbündeten Griechenland und Türkei geführt hatte.
Die griechische Position ist klar: Die Türken suchen illegal in ihren Gewässern nach Erdgas. Ankara hingegen sieht sich im Recht, weil es eine eigene, türkische Wirtschaftszone in Teilen der Ägäis und des Mittelmeers beansprucht.
Der Streit ist kompliziert und harrt einer rechtlichen Klärung: Es geht um Seerecht, um Hoheitsgebiete und die sogenannten "Ausschließlichen Wirtschaftszonen", die das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vorsieht. Das allerdings von der Türkei, anders als von Griechenland, nicht ratifiziert wurde.
Zypernkonflikt seit Jahrzehnten ungelöst
Tatsächlich geht es dem türkischen Präsidenten Erdogan aber wohl darum, die türkischen Ansprüche als Regionalmacht auch und gerade gegen den Nachbarn Griechenland durchzusetzen. Da geht es um wirtschaftliche Vorteile bei der Ausbeutung möglicher Gas- und Ölvorkommen, um die Souveränität vieler griechischer Ägäis-Inseln vor der türkischen Küste und um den seit sechzig Jahren ungelösten griechisch-türkischen Konflikt um die Insel Zypern.
Beide Volksgruppen hatten sich im Züricher und Londoner Abkommen auf die Gründung einer unabhängigen Republik Zypern geeinigt. Als Schutzmächte wurden Großbritannien und die Türkei festgelegt.
Es folgten Aufstände griechischer Zyprioten, Unruhen, Massaker an türkischen Zyprioten, ein Putsch griechischer Ultranationalisten und der geplante Anschluss Zyperns an Griechenland, der Einmarsch türkischer Truppen, die seit 1974 ein Drittel der Insel im Norden Zyperns besetzen. Seither ist die Insel geteilt. Ein Versuch der Vereinten Nationen, die Insel wieder zu vereinigen, scheiterte bei einer Volksabstimmung 2004 am Nein der griechischen Bevölkerung.
Ankara drängt auf Zwei-Staaten-Lösung
Auch deshalb hat sich Erdogan von der Idee eines föderalen Miteinanders von Türken und Griechen verabschiedet. Ankara drängt jetzt auf eine Zwei-Staaten-Lösung. Das türkische Nord-Zypern, das wirtschaftlich in hohem Maße abhängig ist von der Türkei, würde damit praktisch eine türkische Provinz.
Der Erdgasstreit, so glaubt die Politologin und Energieexpertin Professor Filiz Katman von der Istanbuler Aydin Universität, ist eng mit der ungelösten Zypernfrage verbunden.
Eiszeit zwischen Türkei und Griechenland
Die ist nicht in Sicht. Noch im März dieses Jahres keimte Hoffnung auf, als der griechische Ministerpräsident Mitsotakis in Istanbul mit Erdogan zusammentraf. Doch schon im Mai wütete der starke Mann der Türkei öffentlich: "Mitsotakis existiert für mich nicht mehr!"
Zwei Monate lagen dazwischen, und eine Rede von Mitsotakis vor dem US-Kongress in Washington, in der er die US-Parlamentarier davor warnte, den aggressiven Türken weitere Waffen zu liefern - ohne sie beim Namen zu nennen.
Das kam in Ankara nicht gut an. Es trifft eine Achillesverse der Machtambitionen Erdogans. Er braucht eine hochgerüstete, moderne Armee, um seine Forderungen bei Bedarf mit militärischem Nachdruck zu unterstreichen. Milliarden hat Ankara in den letzten Jahren in die heimische Rüstungsindustrie investiert.
Die türkischen Kampfdrohnen gelten inzwischen als begehrter Exportschlager. In einigen High-Tech-Bereichen wie Kampfflugzeugen oder Abwehrraketen ist man aber noch auf Importe angewiesen. So bemüht sich Ankara um den Kauf modernisierter US-Kampfjets. Eine Zusage Washingtons steht aber noch aus.
Türkei geht eigenen Weg - auch gegen Nato-Verbündete
Das Ablegen des Bohrschiffs am Dienstag ist daher auch eine Unmutsäußerung gegenüber Griechen und Amerikanern. "Die türkische Seite", so Expertin Katman, "hat Interesse an einem Dialog. Aber wenn sie türkische Interessen verletzt sieht, wird Ankara nicht zögern, auch harte Mittel einzusetzen. Obwohl das nicht angestrebt wird."
Die Türkei, so Erdogans Botschaft an die Staaten, mit denen er zwar noch in der Nato verbunden ist, die er aber nur schwerlich als seine Partner bezeichnen würde, geht ihren eigenen Weg. Da, wo es für Ankara passt und Vorteile bringt, gerne zusammen mit vermeintlichen Partnern. Und wo es nicht passt eben auch ohne Partner - oder gegen sie.
- Erdogans doppeltes Spiel
Im Ukraine-Krieg spielt Präsident Erdogan den Vermittler - ein heikler Balanceakt. Den Bruch mit Russland kann er sich nicht leisten, seine Wähler erwarten einen starken Mann.