In Rekordzeit hat die Ukraine einen Fragebogen der EU abgegeben - für einen möglichen Beitritt in die Europäische Union. Was das bedeutet - und was nicht.
Ein Fragebogen also: Das klingt so banal, nach ein paar Kästchen, die eine Regierung ausfüllen muss. Wollen Sie in die Europäische Union aufgenommen werden? Sind Sie eine Demokratie? Wie viele Einwohner hat Ihr Land eigentlich?
Doch so einfach ist es nicht.
Tatsächlich dürften sich hinter dem Fragebogen, den die Ukraine nach nur zehn Tagen abgegeben hat, mehr als tausend zum Teil sehr komplexe Fragen verbergen.
Mysterium Fragebogen
Mithilfe der Antworten will die EU-Kommission eine erste Einschätzung vornehmen: Erfüllt das Land die Voraussetzungen, um in die EU aufgenommen zu werden?
Wer in Brüssel aber nachfragt, erfährt nicht viel - das über die erste Erfolgsmitteilung des EU-Botschafters in der Ukraine hinausgeht.
Wonach genau gefragt wird, was die Ukraine geantwortet hat: bleibt geheim. Nicht einmal die Zahl der Fragen will die EU-Kommission verraten. Bei dem Fragebogen handele es sich um ein internes Dokument, heißt es.
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Vor allem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte der Ukraine zuletzt Hoffnungen auf einen schnellen Beitritt in die Europäische Union gemacht. "Meine heutige Botschaft lautet, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört", sagte von der Leyen bei ihrem Besuch in Kiew am 8. April.
Die Ukraine - also bald das 28. EU-Mitgliedsland?
Nur zum Vergleich: Der letzte Staat, der der Europäischen Union beitrat, war Kroatien. Seinen formellen Beitrittsantrag stellte das Land im Februar 2003. Aufgenommen wurde es am 1. Juli 2013 - zehn Jahre später also.
Schneller EU-Beitritt wird schwierig
Ob es für die Ukraine nun deutlich schneller geht? Auf ihrem Gipfeltreffen in Versailles im März konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf einen beschleunigten Aufnahmeprozess einigen. In der Abschlusserklärung heißt es zwar auch hier, die Ukraine sei "Teil unserer europäischen Familie."
Während mancher Befürworter einer schnellen Aufnahme - wie der litauische Präsident Gitanas Nausėda - hinterher von einem "historischen" Durchbruch sprach, zeigten sich andere wie der niederländische Premierminister Mark Rutte deutlich skeptischer. Der Prozess, so Rutte, werde Monate, eher Jahre dauern.
Auch aufgrund Ruttes Druck fand sich in der Abschlusserklärung von Versailles ein Einschub, der die Hoffnungen der Ukraine dämpfen sollte: Das Verfahren finde nun "im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Verträge" statt. Übersetzt: Es gebe keine Abkürzung für die Ukraine.
Ukraine-Beitritt: Wie geht es nun weiter?
Immerhin - die Kommission dürfte sich diesmal beeilen. Sie wird die Antworten der Ukraine auf ihren Fragebogen schon bald auswerten und eine formelle Einschätzung abgeben. Die dann - anders als der Fragebogen - auch veröffentlicht wird.
Möglich, dass diese Einschätzung bereits bald auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs landet: etwa beim nächsten regulären EU-Gipfel im Juni.
Beitrittsverhandlungen bedeuten noch keine Entscheidung
Der Rat könnte dann entscheiden, formelle Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Doch eine Vorentscheidung über einen Beitritt wäre das nicht - davon können andere Länder ein Lied singen, mit denen schon lange verhandelt wird: Mit Serbien etwa starteten die Beitrittsverhandlungen im Januar 2014.
Oder ein anderes Beispiel: Mit der Türkei begannen die Verhandlungen gar schon 2005 - wurden in der Zwischenzeit jedoch unter anderem wegen fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen eingefroren.
Ob die Ukraine also der EU wirklich beitritt? Das bleibt auch nach der Abgabe des ersten Teils des Fragebogens offen. Einem Beitritt müssten alle bisherigen 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen.
Florian Neuhann ist ZDF-Korrespondent in Brüssel.