Am Mittwoch könne der Angriff beginnen, hieß es tagelang aus Kreisen amerikanischer Nachrichtendienste. Eine Fehleinschätzung. Doch Deeskalation sieht anders aus.
"Ich glaube gar nichts mehr!" So oder ähnlich antworten viele Menschen in der Ukraine auf die Frage, ob sie glauben, dass Russland seine Truppen tatsächlich abzieht. Taten müssten auf die ersten, nach Deeskalation klingenden Worte folgen, um in der Ukraine eine echte Hoffnung auf ein Leben ohne Krieg keimen zu lassen.
Doch während einzelne russische Panzerverbände medienwirksam in ihre Standorte zurückverlegt werden, stehen immer noch Truppen des größten Manövers seit dem Ende des Kalten Krieges in Schlagdistanz zu den Grenzen der Ukraine und halten die Halbinsel Krim besetzt.
Kommunikation wie im Kalten Krieg
Und wie im Kalten Krieg klingt auch die Kommunikation zwischen Moskau und Washington. Die direkten Kanäle auf das absolute Minimum reduziert.
Sollten im Weißen Haus und Kreml noch "rote Telefone" stehen, werden sie im Zeitalter von Twitter und Facebook scheinbar nicht genutzt. Stattdessen setzen Präsidenten, Außen- und Verteidigungsminister - allesamt alte weiße Männer - auf gegenseitige Schuldzuweisungen und legen eine Rhetorik an den Tag, die nicht selten zumindest am sprichwörtlichen gesunden Menschenverstand zweifeln lässt.
Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow zum Beispiel sagte:
Am besten, könnte man meinen, begännen Kriege in Europa gar nicht - und auch sonst nirgends. Die Menschen in Europa und die Menschen in der Ukraine im Besonderen wollen keinen Krieg - und bereiten sich doch seit acht Jahren darauf vor.
Ukrainisches Militär trainiert für den Tag X
Wie Oleksij Ghdjed. Als die Krim besetzt wurde, war er Teenager in Lwiw, früher Lemberg. Heute ist er Pilot der ukrainischen Luftwaffe, in der Brigade № 831 in Mirgorod stationiert, gut 250 Kilometer östlich von Kiew. Fünfmal am Tag steigt er mit einer SU-27 - einem Kampfjet sowjetischer Bauart - in den Himmel über der verschneiten Ukraine, um für den Tag X zu trainieren.
"Aber wir sind immer bereit unsere Grenzen zu beschützen", sagt der 25-Jährige. "Es ist nicht schwer zu verstehen, dass wir die ersten sind, die den Schlag abbekommen. Dafür haben wir trainiert und wir wissen, wohin das führen kann."
Provokationen nehmen zu - schwer einzuschätzen von wem sie kommen
Zwar blieb der Großangriff russischer Truppen bis zum Donnerstag aus, doch in den Seperatistengebieten in der Ostukraine bröckelt die ohnehin längst fragile Waffenruhe. Eine Granate soll in einem Kindergarten eingeschlagen sein, fraglich nur, von wem sie stammt. Die verschiedenen Lager beschuldigen sich gegenseitig. Sicher ist nur, dass die Provokationen zunehmen. Was die Situation für alle Menschen in der Ukraine immer schwerer erträglich macht.
Viele Menschen im Land versuchen, ihr Hab und Gut abzusichern. Bargeld zu Hause statt auf dem Konto zu sichern. Und Kraftstoff im Auto samt voller Reservekanister. Die einen belegen Erste-Hilfe-Kurse, andere besuchen Schulungen an Sturmgewehren.
Seit einigen Wochen werden die Kämpfe in der Ukraine schlimmer.
Alltag im Schatten der Kriegsgefahr
Und sonst: Alltag! Geschäfte sind geöffnet, die Lebensmittelregale gefüllt, auch in den Discountern. Der Berufsverkehr stockt allabendlich in Kiews Straßen. Die Hauptstadt, seit Mittwoch ganz in blaugelben Landesfarben beflaggt, gibt sich geradezu trotzig normal. Ihre Bürger leben diesen Alltag seit acht Jahren. Immer in der Gewissheit, sich in einem Krieg zu befinden, der jederzeit eskalieren könnte.
Damit er nicht eskaliert, setzen viele Menschen auf Abschreckung, auf militärische Aufrüstung mit einem zivilen Rückhalt über politische Meinungsgrenzen hinweg. Wenn der russische Angriff kommen sollte, will man sich nicht kampflos ergeben. Das sagen uns Menschen auf der Straße und das sagt natürlich auch Pilot Oleksij.