Mit dem Truppenaufmarsch will Moskau "eine Drohkulisse aufbauen", sagt Politologe und Lobbyist Rahr im ZDF. Sollte Kiew der Nato beitreten, werde die Lage noch bedrohlicher.
Politologe Alexander Rahr glaubt, dass Putin „eine Druckkulisse aufbaut, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen“, keine NATO auf postsowjetischem Territorium.
ZDF: Warum fährt Putin von drei Seiten, ich sage es mal salopp, schweres Geschütz entlang der Grenzen zur Ukraine auf, macht ein Manöver nach dem anderen, was will Putin erreichen?
Alexander Rahr: Ich glaube, dass er eine Drohkulisse aufbaut, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, dass der Westen Russland langfristig eine Garantie gibt, dass die Nato nicht mehr auf postsowjetisches Territorium, nämlich auf die Ukraine, ausgeweitet wird.
Er will den Fehler korrigieren, den die russische Diplomatie damals gemacht hat unter Gorbatschow und Jelzin, als die Nato Russland versprochen hat, sich nicht weiter auszuweiten - aber es trotzdem gemacht hat und die russische Diplomatie hier nichts Schriftliches festgelegt hat, um dem entgegenzuwirken.
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Außerdem will er natürlich vom Westen Verhandlungen haben, ernsthafte Verhandlungen. Er will den Westen in solche Verhandlungen zwingen, die Amerikaner vor allen Dingen, aber auch die OSZE und den Nato-Russland-Rat.
ZDF: Die Ukraine ist ja ein freier souveräner Staat, der allein entscheiden kann, ob er der Nato beitreten möchte oder nicht. Man kann ja die Fehler der Vergangenheit jetzt nicht mit militärischen Handlungen korrigieren...
Rahr: Nein, aber man muss sehen, dass die europäische Sicherheitslage natürlich in einer Schieflage ist, weil die Nato kann sich ja nach Osten hin erweitern. Und natürlich kann die Ukraine der Nato beitreten.
Und ich denke, dass man auch von Seiten der Nato sehen muss, dass man ein Land, das ethnisch-territoriale Konflikte hat, wie zum Beispiel auch Georgien, in diese Militärorganisation nicht aufnehmen kann, solange diese nicht gelöst sind. Und deshalb ist es wichtig auch für die Ukraine - und dazu kommen wir bestimmt auch noch im Normandie-Format - die Minsker Abkommen anzugehen und hier zu einer Lösung in der Ostukraine zu finden.
ZDF: Sie haben gerade angesprochen, dass es damals eine mündliche Zusage gab, dass die Nato sich nicht erweitern wird in Richtung Osten. Bei den Verhandlungen im Rahmen des "2+4"-Vertrags ging es aber doch darum, dass sich die Truppen in der Bundesrepublik nicht auf das Gebiet der DDR ausweiten. Fallen Sie da auf russische Erzählungen rein?
Rahr: Nein, ich habe sozusagen diese Dinge auch von Genscher und von anderen Politikern gehört, dass mündlich darüber gesprochen wurde, die Nato bis an die russischen Grenzen auszuweiten. Sie müssen doch die russischen Sicherheitsexperten und den Sicherheitsapparat der Militärs verstehen, die sagen, wenn militärisches schweres Gerät heute auf dem Territorium der Ukraine steht, dann ist eine Situation geschaffen wie damals in der Kuba-Krise vor 60 Jahren, als westliche Raketen praktisch - das ist hier wiederum die russische Sicht, aber wir müssen die russische Sicht auch verstehen - Russland bedrohen.
Und deshalb versucht Putin jetzt dasselbe, was Kennedy damals vor 60 Jahren in Kuba gemacht hat, zu sagen: Ich will diese Raketen dort nicht haben, wir müssen andere Lösungen finden.
Politisch könnte vielleicht die Ukraine eines Tages in der Nato sein.
ZDF: Was muss passieren, damit alle Seiten ihr Gesicht wahren können?
Rahr: Also ich denke, dass die deutsche Politik sehr vernünftig handelt. Auch Olaf Scholz und Macron sagen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine heute nicht auf dem Tisch liegt. Das ist ein wichtiger Satz, der trägt schon zur Beruhigung bei.
Zweitens: Die Gespräche haben begonnen und vor allen Dingen im OSZE-Format müssen sie weitergehen. Letztendlich können wir vielleicht das tun, was Frau Merkel auch 2014 angedeutet hat: Wenn die Sache in der Ukraine ruhiger wird, könne man vielleicht auch nachdenken über gemeinsamen Raum zwischen Lissabon und Wladiwostok, in dem Russland, Ukraine und andere Staaten sich dann sicherheitspolitisch wohler fühlen als es heute ist.
Das Interview führte Dunja Hayali im ZDF-Morgenmagazin.
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