Die Kämpfe in der Ostukraine halten an. Russland könnte bald die Verteidiger an strategisch wichtigen Orten einkesseln. Auch ein Angriff auf die Stadt Saporischschja ist möglich.
Kann der russische Vormarsch im Donbass noch aufgehalten werden? ZDFheute live mit Ex-Nato-General Egon Ramms und zwei Korrespondenten, die aus der Ukraine berichten.
In dieser Woche ist es erneut zu intensiven Kämpfen im Donbass gekommen. Russland konnte erhebliche Gebiete erobern. Nach offiziellen ukrainischen Angaben sind inzwischen mehr als 95 Prozent der Region Luhansk unter russischer Besatzung.
Der ukrainische Gegenangriff bei Charkiw hat an Momentum verloren und wurde gestoppt. Den Russen gelang es sogar, einige Dörfer in der Region zurückzuerobern. Am 27. Mai konnte die russische Langstreckenartillerie wieder die Außenbezirke von Charkiw erreichen. Insgesamt ist es unwahrscheinlich, dass die Ukraine in der Lage wäre, die Nachschubwege der russischen Donbass-Offensive aus Richtung Charkiw zu gefährden.
In der Ostukraine rücken die russischen Truppen immer weiter vor. Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert die europäischen Staaten erneut auf, mehr Waffen zu liefern.
Umfassende russische Vorstöße
Im Donbass sind die russischen Streitkräfte nach ihrem Durchbruch bei Popasna weiter vorgerückt und bewegen sich in Richtung Nordwesten, nach Siversk, um die ukrainischen Verbände, die Sewerodonezk-Lisitschansk halten, einzukesseln. Die Einkreisung dürfte in den kommenden Tagen abgeschlossen werden. Sewerodonezk ist bereits weitgehend in russischer Hand, die ukrainischen Einheiten ziehen sich geordnet zurück.
Russische Kräfte sind auch bei Lyman durchgebrochen. Die Stadt ist bereits fast vollständig unter russischer Kontrolle, und russische Einheiten bewegen sich auf Slowjansk zu, eine der wichtigsten Städte der gesamten Region.
Schneller russischer Vormarsch erhöht die Verluste
Während der tatsächliche Status der ukrainischen Streitkräfte - einschließlich ihrer Verluste - für Forscher, die auf der Grundlage offener Quellen arbeiten, schwer zu beurteilen ist, wird deutlich, dass die russische Armee einen hohen Preis für ihren Vormarsch im Donbass zahlt.
Sollte sich die derzeitige Intensität der Kämpfe fortsetzen, wird es immer wahrscheinlicher, dass Russland nach dem Ende der Schlacht um den Donbass das Operationstempo deutlich verringern muss, um seinen dezimierten Truppen Erholung und Nachschub zu ermöglichen.
ZDF-Reporter Henner Hebestreit schätzt die Lage ein.
Inzwischen verlegt Russland immer mehr Truppen in die nördlichen Teile der besetzten Gebiete der Region Saporischschja. Dies könnte darauf hindeuten, dass Russland nach einem Sieg im Donbass - wenn überhaupt - seine nächste Operationsrichtung nach Norden, entlang des Dnjepr, ausrichten wird, um Saporischschja zu erobern.
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Russland gelingt die verdeckte Mobilisierung
Neben anderem militärischen Gerät bringt Russland auch alte T-62-Panzer in dieses Gebiet. T-62-Panzer gehören normalerweise zu den Reservistenkräften; daher deutet ihre Stationierung wahrscheinlich darauf hin, dass Russland mit seiner "versteckten" Mobilisierung zumindest teilweise erfolgreich war und wohl auch bald einige Reservisten eingesetzt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob diese kurz vor der Verlegung stehenden Reservistenkräfte für den Angriff auf Saporischschja oder eher für die Aufrechterhaltung der Besatzung, das heißt zur Bekämpfung der immer stärker werdenden Widerstandsbewegung der Partisanen in den Regionen Cherson und Saporischschja, eingesetzt werden. In Anbetracht der allgemein geringeren Kampfbereitschaft der Reservisten scheint letzteres derzeit wahrscheinlicher zu sein.
Die Millionenstadt liegt am schwarzen Meer und hat einen wichtigen Hafen für die Ukraine. Deshalb befürchten die Einwohner, Odessa werde bald ein russisches Angriffsziel sein.
Angriffe auf ukrainische Versorgungswege
Im Südwesten, in Richtung Cherson-Mykolaiv, konzentrierten sich die russischen Streitkräfte auf die Verstärkung ihrer Verteidigungsstellungen, wahrscheinlich in Erwartung eines ukrainischen Gegenangriffs. Abgesehen vom regelmäßigen Beschuss ukrainischer Stellungen verhalten sich die russischen Streitkräfte hier weitgehend passiv. Diese Richtung hat für Russland eindeutig keine Priorität, was wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile so bleiben wird.
Wie der Ex-Nato-General Egon Ramms die Lage in der Ostukraine einschätzt, hat er bei ZDFheute live erläutert. Das Gespräch sehen Sie hier:
General a.D. Egon Ramms sieht eine schwierige Lage für die Ukraine. Und doch bleibt er bei seinem Optimismus, was die Chancen der Ukraine betrifft, wenn auch etwas vorsichtiger.
Parallel zu den intensiven Bodenkämpfen führte Russland weiterhin Luft- und Raketenangriffe weit hinter der Frontlinie auf ukrainischem Territorium durch. Hauptziele sind nach wie vor die Eisenbahn- und Verkehrsinfrastruktur, um die Bewegung der ukrainischen Truppen zu behindern und die Lieferung westlicher Waffensysteme zu verlangsamen.
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.