Mit dem Angriff auf die Ukraine schockiert Putin die Welt – und auch Teile der eigenen Bevölkerung.
750 Kilometer Luftlinie trennen Moskau von Kiew. Und während russische Streitkräfte in die ukrainische Hauptstadt eindringen und die Menschen aus dem Land fliehen, läuft das Leben in Moskau relativ normal weiter.
Doch wenn man genau hinsieht, wird deutlich, dass sich etwas verändert hat. Ein Mann mit der Aufschrift "Frieden, kein Krieg" auf dem Pullover steigt in die Metro, am Straßenrand steht eine junge Frau mit einem Poster, auf dem "Kein Krieg" steht.
"Spezielle Militäroperation": Staatliche Verharmlosung des Krieges
Die russische Regierung gibt sich Mühe, den Krieg zu verharmlosen. Putin redet von einer "speziellen Militäroperation" die in der Ukraine ausgeführt wird. Das Narrativ: Russland hatte keine andere Wahl, als einzumarschieren.
Bisher kann die Regierung dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung vertrauen. Am Tag des Kriegsbeginns veröffentlicht das russische Meinungsforschungsinstitut Lewada eine Umfrage. Das Ergebnis:
- 60 Prozent der Befragten gaben an, dass die USA und die Länder der Nato Initiatoren der Eskalation in der Ostukraine seien.
- Drei Prozent der Befragten sehen die Schuld bei Russland.
Bisher seien mehr als 3.000 Menschen in Russland bei Protesten gegen den Krieg verhaftet worden, so Sergey Lagodinsky, Russlandpolitischer Sprecher Europäische Freie Allianz.
Unverständnis und Frust auch bei Menschen in Russland
Doch die Schuld bei den USA und der Nato zu sehen, ist noch keine Zustimmung zum Krieg. Die Nachrichten lösen keine Jubelschreie aus sondern vielmehr Schock.
Eine Freundin berichtet, wie ihre Professorin im Seminar in Tränen ausbricht. Im Internet schreiben viele ihren Frust und ihr Unverständnis nieder. "Syndikat-100", eine Allianz der letzten unabhängigen Massenmedien Russlands, veröffentlicht eine Erklärung, in der sie den Krieg ablehnen:
„Wir müssen unterbrechen, wenn die Sirenen heulen“, so Nataliia Fiebrig, Ukrainische TV-Korrespondentin, „wenn wir nicht senden können, übernimmt ein anderer Sender“.
Auch Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten verurteilen in einem offenen Brief den Krieg: "Die Ukraine war und bleibt für uns ein nahes Land. […] Unsere Väter, Groß- und Urgroßväter haben gemeinsam gegen den Nazismus gekämpft. […] Das Entfesseln des Krieges […] ist ein zynischer Verrat an die Erinnerungen an sie." Und weiter:
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Proteste in Russland werden unterdrückt, viele Festnahmen
Am Donnerstagabend gingen im ganzen Land Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg zu protestieren. "Kein Krieg" und "Putin weg" schrien sie.
Das Resultat am Donnerstag: 1.700 Festnahmen im ganzen Land, davon allein 600 in Moskau. Die Initiatorin des Moskauer Protests, Menschenrechtsaktivistin Marina Litwinowich, wurde bereits vor Beginn der Demonstration vor ihrer Haustür von der Polizei abgeholt. Kritische Stimmen zum Krieg sind nicht erwünscht.
Repressionen sind einer der Gründe, warum am Donnerstag nur so wenige Menschen auf der Straße waren. Zu groß ist die Angst vor Festnahmen. Auch fehlt es an Oppositionsfiguren, die viele Menschen auf die Straße bringen. Zahlreiche Regimekritiker sind im Gefängnis, unter Hausarrest oder im Ausland.
- Krieg in der Ukraine: Die Entwicklungen
Der ukrainische Präsident erwartet einen russischen Sturm auf Kiew noch in der Nacht. Im UN-Sicherheitsrat scheitert eine Resolution. Die wichtigsten Entwicklungen in der Ukraine.
Demonstranten in Moskau: Kaum Hoffnung, dass sich etwas ändert
Dass Menschen trotzdem protestieren, ist ein wichtiges Zeichen. Doch es bleibt ein leiser Ruf in einem Land, das sonst weitermacht, als ob kein Krieg herrschen würde. Denn ein anderer Grund, warum es Proteste in Moskau schwerhaben, ist schlicht Unterstützung für Putin oder Gleichgültigkeit gegenüber seinen Aggressionen.
Daher haben viele Demonstranten keine Hoffnung, dass sich etwas ändert. Rodion, ein junger Mann auf dem Protest in Moskau, sagt:
Die Verzweiflung und Wut sind groß. Eine ältere Frau sagt zu den Polizisten: "Jungs, auch euch wird man in den Krieg schicken." Und wenig später: "Wir schämen uns für dieses Land."
- Offene Arme bei den Nachbarländern
Der Einmarsch der Russen treibt viele Ukrainer in die Flucht. Und selbst Nachbarländer, die sonst jegliche Migranten ablehnen, zeigen sich jetzt hilfsbereit.