Wiederaufbau der Ukraine: Wie finanzieren?

    Dreistelliger Milliardenbetrag:Wiederaufbau der Ukraine: Wie finanzieren?

    von Brigitte Scholtes
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    Der Wiederaufbau in der Ukraine wird Hunderte Milliarden Euro kosten. Wie viele, das wird erst nach Kriegsende klar sein. Was kann Europa tun?

    Eine ukrainische Frau geht inmitten der Trümmer eines Wohnhauses nach nächtlichem Beschuss in Mykolaiv (Ukraine), aufgenommen am 02.08.2022
    Trümmer eines Wohnhauses in Mykolaiv (Ukraine)
    Quelle: AP

    Ein "Marshallplan" für die Ukraine muss her, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz schon im Juni in Anspielung auf die Aufbauhilfe der USA an die Bundesrepublik Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs. 1947 hatten die Amerikaner den Europäern und auch Deutschland beim Wiederaufbau geholfen, ein Motiv damals war auch, den sowjetischen Einfluss in Europa einzudämmen.  

    Wirtschaftlich schwierige Zeiten

    Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, jetzt geht es darum, dem Land gegen den russischen Aggressor beizustehen. Die Herausforderung ist riesig, sagt Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: "Das ist natürlich viel Geld, und wir sind im Augenblick in einer wirtschaftlich schwierigen Situation." Vor zwei Jahren, vor Corona und vor der Energiekrise, wäre es sicher einfacher gewesen, da umfangreiche Versprechen machen zu können:

    Aber es wäre ein Armutszeugnis, wenn der Wiederaufbau, die Prosperität und damit die Westorientierung der Ukraine daran scheitert, dass Westeuropa nicht in der Lage wäre, ein oder zwei Milliarden mehr aufzubringen.

    Hubertus Bardt, Institut der deutschen Wirtschaft

    Denn die dreistellige Milliardensumme, die wohl benötigt wird, die muss ja nicht ein einzelnes Land schultern, die dürften sich verschiedene Staaten teilen. Die zeitliche Dimension kommt hinzu. Bundeskanzler Scholz sprach beim deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum an diesem Montag von einer "Generationenaufgabe", von mehreren Dekaden also. Und auf diese Zeitspanne betrachtet wäre dann die Belastung nicht so groß, hört man am Finanzmarkt, als dass sie nicht zu schultern wäre.
    Dazu dürften die Staaten wohl Anstoßfinanzierungen geben, vermutet Michael Heise, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters HQ Trust. Die würden wahrscheinlich von den europäischen Ländern kommen. "Sie müssen die Planungen sehr gut koordinieren, und dann werden Unternehmen, die etwa für die Infrastruktur verantwortlich sind, ihren Beitrag liefern müssen."

    Da wird sehr viel privates Kapital erforderlich sein.

    Michael Heise, Volkswirt bei HQ Trust

    Eine höhere Kreditaufnahme dafür stehe dann auch in Konkurrenz zu anderen Investitionen, die getätigt werden müssen. "Und trotzdem ist es sehr wichtig, dass man hier jetzt vorangeht, auch um ein Zeichen zu setzen, dass die Zerstörung dieses Landes nicht geduldet wird und man dieses Land von europäischer und westlicher Seite unterstützen wird."

    Ökonom: Deutschland bei Ukraine-Aufbau besonders gefordert

    Die eigentlichen Hilfen würden dann wohl die Nationalstaaten in der EU bereitstellen, vermutet Heise. Als eines der wirtschaftlich stärksten Länder wird Deutschland in der EU besonders gefordert sein. "Es ist die Frage, ob dafür neue Schulden aufgenommen werden müssen oder ob das gar nicht nötig ist", sagt IW-Ökonom Bardt.
    Die Finanzierungssituation Deutschlands hält er aber für gut genug, um auch dafür noch zusätzliche Ausgaben stemmen zu können. Immerhin hat die Rating-Agentur Fitch gerade erst die sehr gute Bonität Deutschlands mit einem "AAA" bestätigt.

    Gemeinsam Schulden machen?

    Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hält es für sinnvoll, den Wiederaufbau der Ukraine über gemeinsame Schulden der Europäischen Union zu finanzieren. Ein Modell ähnlich wie der Corona-Wiederaufbaufonds könne "grundsätzlich auch für die geplante sehr starke finanzielle Unterstützung der Ukraine sinnvoll sein", sagte er in den vergangenen Tagen den Zeitungen der Funke Mediengruppe:

    Zwar klingen Summen von 500 Milliarden Euro gigantisch, in Relation zur Wirtschaftsleistung der EU handelt es sich jedoch nur um gut drei Prozent [...].

    Achim Truger, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen

    Der Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro war lange heftig umstritten, weil dadurch die EU zum ersten Mal in größerem Maß als Anleihegläubiger auftrat und dies einen Einschnitt in die finanzielle Selbständigkeit der Mitgliedsländer bedeutete. Deshalb hielte Ökonom Heise von HQ Trust eine weitere gemeinsame Schuldenaufnahme auch nicht für richtig.
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