Die US-russischen Gespräche zur Ukraine-Krise haben begonnen. Warum der Westen gar keine Wahl hat, als die von Moskau geforderten "Sicherheitsgarantien" abzulehnen. Ein Kommentar.
Das Wort klingt so harmlos: "Sicherheitsgarantien" fordert Russland vom Westen - und wer würde nicht gern die Sicherheit in Europa, ja in der Welt garantieren? Etwa die EU, die als Friedensnobelpreisträgerin für diese Aufgabe prädestiniert sein sollte (im aktuellen Konflikt allerdings nur an der Seitenlinie steht und ab und an "Ich will auch mitspielen!" hereinruft).
Oder die Nato, die sich als Verteidigungsbündnis gegründet hat und immer wieder betont, von ihr gehe weder für den Osten Europas noch für Russland irgendeine Gefahr aus.
"Sicherheitsgarantie" - ein völliger Etikettenschwindel
Das Problem ist nur: dass die sogenannte "Sicherheitsgarantie" ein völliger Etikettenschwindel ist. Was Russlands Präsident Putin vom Westen fordert, hat mit Sicherheit so wenig zu tun wie der Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine mit einem friedlichen Dialogangebot.
Was der russische Präsident im Sinn hat, ist nichts weniger als das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wladimir Putin, der die Wiedervereinigung 1990 machtlos als KGB-Offizier in Dresden miterleben musste, hat sich nie mit den Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges abgefunden.
Ob mit dem Ende der Sowjetunion, deren Zusammenbruch er später einmal in völliger Überhöhung als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" brandmarkte - oder mit der Nato-Osterweiterung, von der er bis heute wahrheitswidrig behauptet, dass sie gegen definitive Zusagen vollzogen wurde [vgl. den Faktencheck dazu: Wie Putin mit falschem Mythos Politik macht]
Der Westen hat keine Wahl
Jetzt also fordert Putin als "Sicherheitsgarantie", dass die Nato ihre Truppen aus dem Nato-Gebiet in Osteuropa abzieht. Und dass sie garantiert, keine weitere Osterweiterung anzustreben. Beides sind Forderungen, bei denen der Westen schlicht keine Wahl hat, als sie abzulehnen, wenn er die von allen Staaten anerkannten Grundprinzipien der europäischen Sicherheitsarchitektur ernst nimmt.
- Erstens hat ein Verteidigungsbündnis wie die Nato selbstverständlich das Recht darauf, Truppen in Nato-Staaten wie dem Baltikum oder Polen zu stationieren und dort Übungen abzuhalten. Zumal wenn souveräne Staaten in Osteuropa dies selbst wünschen.
- Zweitens ist es das Recht eines jeden Staates - festgehalten schon 1975 in der auch von Russland unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) -, seine Bündnisse selbst zu wählen. Dies gilt natürlich auch für die Ukraine.
Der russische Truppenaufmarsch nahe der ukrainischen Grenze führt seit Wochen zu Beunruhigungen. Im Januar will Russland mit den USA und der Nato nun erste Gespräche führen.
Sollte sich das Land für eine Nato-Mitgliedschaft entscheiden (die aktuelle Regierung hat daran sehr großes Interesse) und sollte die Nato einer Mitgliedschaft zustimmen (eine Mitgliedschaft ist zwar versprochen, steht aber aktuell auch wegen des andauernden Grenzkonflikts nicht zur Debatte), dann muss dies selbstverständlich möglich sein. Ein Vetorecht Russlands gibt es nicht - und darf es nicht geben.
Putin will Sicherheitsgarantien erpressen
Fast noch wichtiger als diese inhaltlichen Argumente aber ist die Art und Weise, wie Putin diese Sicherheitsgarantien zu erreichen versucht: schlicht durch Erpressung. Indem er mit über 100.000 Truppen an der Grenze zur Ukraine offen mit Invasion droht. Sollte der Westen gegenüber dieser Erpressung einlenken, könnte er einpacken. Es wäre das verheerende Signal, dass man schon bei der Androhung militärischer Gewalt einknickt - ganz egal, ob Putin nun ernsthaft einen Einmarsch plant oder bloß blufft.
Das heißt nicht, dass der Westen nicht dialogbereit sein sollte. Und zuhören muss, wenn sich auf diese Weise eine Eskalation, gar ein Krieg verhindern ließe.
Leider lassen die Forderungen Russlands bisher nicht vermuten, dass es Putin hier um einen echten Dialog geht.
Der Autor ist Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.
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