Kommt jetzt die Entspannung im Russland-Ukraine-Konflikt - oder genau das Gegenteil? Wie die Nato versucht, sich einen Reim auf die Signale aus Moskau zu machen.
Der Tag beginnt mit einer Eilmeldung, auf die große Teile der Welt gewartet haben. "Dringend", so tickert die Nachrichtenagentur AFP die Nachricht: "Kreml bestätigt geplanten Abzug einiger Truppen von der ukrainischen Grenze". Haben sich die diplomatischen Anstrengungen gelohnt? Wird der Krieg also abgesagt?
Wer kurz darauf mit Diplomaten in Brüssel spricht, hört allerdings mehr als Fragen als Antworten - mehr Zweifel als Optimismus. Wie ernst ist es mit der Deeskalation? Geht es hier nicht eher darum, den Westen, vor allem die USA, bloßzustellen - dadurch, dass am morgigen Mittwoch, dem vermeintlichen Tag des Angriffs, einfach mal nichts passiert? Und überhaupt: Stimmt es denn, dass Russland Truppen abzieht?
Stoltenberg: "Grund zu vorsichtigem Optimismus"
Es ist der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der am Mittag vor die Presse tritt. Stoltenberg hatte in den letzten Wochen kaum einen Tag verstreichen lassen, ohne in teils sehr deutlichen Worten vor dem russischen Truppenaufmarsch zu warnen. Heute spricht er zum ersten Mal in dieser Krise überhaupt von "Grund zu vorsichtigem Optimismus".
Der Norweger, noch bis Ende September im Amt als Nato-Generalsekretär, bezieht sich dabei nicht auf die Ankündigung des Truppenabzugs. Sondern auf die vom Kreml gestern so erklärte Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen.
Aber: "Alles ist nun bereit für einen Angriff"
Und der Truppenabzug? Bisher nur ein Wort - keine Tat. "On the ground", an der Grenze zur Ukraine, habe die Nato kein einziges Zeichen von Deeskalation gesehen, sagt Stoltenberg. Und schon ist er wieder in seiner Rolle als Mahner: "Alles ist nun bereit für einen Angriff". Russland könne jederzeit, quasi ohne Vorlaufzeit oder Warnung, zuschlagen.
Die, die heute in Brüssel mit der Presse reden, teilen seine Skepsis. Sie verweisen auf den vergangenen Dezember, als schon einmal rhetorisch aus dem Kreml abgerüstet wurde - der Truppenaufmarsch aber weiterging. Sie verweisen darauf, dass beim letzten echten Truppenabzug im Frühjahr 2021 zwar Soldaten abgezogen wurden, das schwere Gerät aber in den Stellungen blieb und jederzeit wieder genutzt werden könne.
Duma fordert Unabhängigkeit der Provinzen Donezk und Luhansk
Und sie verweisen auf eine Meldung, die kurz vor Stoltenbergs Auftritt über die Agenturen läuft: das russische Unterhaus, die Duma, fordert darin, die prorussischen Provinzen Donezk und Luhansk in der Ukraine als unabhängig anzuerkennen.
Folgte Putin dieser Forderung, es wäre die offene Konfrontation mit der Ukraine. Ein Schritt, dessen Folgen nach Ansicht Brüsseler Diplomaten unkalkulierbar wären.
US-Botschafterin: Kein Grund für Optimismus
Und so weigert sich die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith, heute denn auch, das Wort "Optimismus" überhaupt in den Mund zu nehmen. Auch auf Nachfrage spricht sie von "fortgesetzter Eskalation".
Eine Eskalation, auf die die Nato reagieren will. In den kommenden beiden Tagen treffen sich die Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister der Allianz in Brüssel. Ein lang geplantes Treffen, das durch den Konflikt eine neue Brisanz bekommen hat. Jetzt will die Nato ihre Ostflanke verstärken - die Rede ist von weiteren Battlegroups nach dem Vorbild derjenigen, die bereits seit 2017 im Baltikum und in Polen stationiert sind. Frankreich hat schon seine Bereitschaft erklärt, eine Nato-Kampfgruppe in Rumänien anzuführen.
Die Verstärkung ist vor allem ein Signal an die östlichen Mitgliedstaaten der Nato, dass das Beistandsversprechen der Allianz auch in dieser Krise gilt.
In einer Krise, in der weiterhin alles möglich ist. Und niemand weiß, was Putin wirklich plant.