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Gefahr eines russischen Angriffs : "Für eine große Invasion reicht es nicht"

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Sicherheitsexperte Wolfgang Richter hält eine großangelegte russische Offensive in der Ukraine für unrealistisch. Dazu sei Russland derzeit gar nicht in der Lage.

Ein Konvoi russischer gepanzerter Fahrzeuge bewegt sich auf einer Autobahn auf der Krim.
Ein Konvoi russischer gepanzerter Fahrzeuge bewegt sich auf einer Autobahn auf der Krim.
Quelle: dpa

ZDFheute: Wie könnte eine russische Offensive aussehen - was lässt sich aus den Luftaufnahmen von dem russischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine lesen?

Wolfgang Richter: Russland hat seit 2015 drei mechanisierte Divisionen östlich der Ukraine gebildet und sie in einer Entfernung von 50 bis 250 km zur ukrainischen Grenze und zum Donbass stationiert. Zusammen mit den Kräften auf der Krim sind das etwa 75.000 Mann. Sie werden derzeit durch Verbände aus dem Inneren Russlands verstärkt, die auf Schießplätzen üben.

Doch reicht dies für eine großangelegte Invasion der Ukraine nicht aus, wohl aber für begrenzte Operationen wie die Unterstützung der Separatisten im Donbass.

Die aktuelle Situation ist gleichwohl gefährlich, weil sie zur weiteren Eskalation beiträgt und außer Kontrolle geraten kann.

Infokarte Ukraine
Quelle: ZDF

ZDFheute: Für wie wehrhaft halten Sie die Ukraine derzeit?

Richter: Russland müsste einen hohen Preis für einen Angriff bezahlen. Zwar sind die russischen Luftstreitkräfte eindeutig überlegen; aber die Ukraine verfügt über die drittstärkste Armee Europas mit einer Stärke von ca. 250.000 Mann. Dazu kommen 900.000 erfahrene Reservisten.

Zudem sind die ukrainischen Streitkräfte heute gefestigter als 2014. Als Russland die Krim annektierte, lief ein Teil der ukrainischen Truppen zur russischen Schwarzmeerflotte über.

Acht Jahre Krieg haben da wie ein nationales Erweckungserlebnis gewirkt.

Außerdem müsste Russland mit einem Guerillakrieg vor allem in der Zentral- und Westukraine rechnen.

ZDFheute: Es heißt aber, die ukrainische Armee verfüge über veraltetes Material?

Richter: Die Ukraine verfügt seit den Zeiten der Sowjetunion über eine eigene Rüstungsproduktion und heute immerhin über 860 Kampfpanzer von immer noch beachtlicher Qualität. Aber ein hochintensiver Krieg würde nicht durch das Duell älterer Panzer gegen neuere Panzer entschieden.

Im "Gefecht verbundener Waffen" kommt es darauf an, Kampfpanzer, gepanzerte Infanterie, Artillerie, und andere Unterstützungsverbände taktisch so abgestimmt einzusetzen, dass im Verbund die größtmögliche Wirkung erzielt wird. Dazu haben westliche Staaten Ausbildungshilfe geleistet.

Zudem verfügt die Ukraine mittlerweile über westliche Panzerabwehrwaffen und Zielortungsradare für die Artillerie sowie türkische Kampfdrohnen, die Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien im Herbst 2020 mit kampfentscheidender Wirkung eingesetzt hat.

ZDFheute: Sie halten also einen Krieg in der Ukraine für nicht sehr wahrscheinlich?

Richter: Ein offener Krieg gegen die Ukraine wäre auch unter dem Blickwinkel russischer Interessen eine unvernünftige Option: In Russland würden sich die Menschen fragen, warum man einen Krieg gegen das "ukrainische Brudervolk" führt.

Zudem müsste Russland mit hohen Verlusten rechnen. Dies würde die Frage nach der Verantwortung dafür aufwerfen und könnte innenpolitisch destabilisierende Wirkung entfalten.

Auch die wirtschaftlichen und außenpolitischen Folgen wären gravierend: Russland wäre international völlig isoliert und die russische Wirtschaft würde erheblichen Schaden nehmen.

Dazu kommt die strategische Überdehnung der russischen Streitkräfte. Sie sind weit über das riesige Territorium "gestreckt", von Kaliningrad (russische Exklave, ehem. Königsberg, die Redaktion) im Westen bis Kamtschatka ganz im Osten.

Wenn Moskau seine Truppen in eine strategische Richtung konzentriert, muss es andere Flanken schwächen, die ebenfalls russische Militärpräsenz erfordern.

Das gilt für den unsicheren Kaukasus ebenso wie für den Fernen Osten, wo die strategischen Ambitionen Chinas auch in Moskau Zweifel wecken. Und auch Zentralasien - mit seinen politischen Unruhen und dem zunehmenden Einfluss des islamistischen Terrorismus - stellt Moskau vor neue Herausforderungen.

ZDFheute: Wozu dann das Säbelrasseln?

Richter: Es geht Putin um westliche Sicherheitsgarantien für Russland, die in den 90er Jahren im Kontext der ersten Nato-Erweiterung nach der deutschen Vereinigung vereinbart worden sind. Grob zusammengefasst hat die Nato zugestimmt, keine zusätzlichen substanziellen Kampftruppen zu stationieren, Rüstungskontrolle an die veränderten Bedingungen anzupassen, die OSZE als gemeinsames Sicherheitsdach zu stärken und die Sicherheitskooperation zwischen der Nato und Russland zu vertiefen, woraus 2002 der Nato-Russland-Rat entstanden ist.

Zudem vereinbarten 1999 alle OSZE-Staaten, einen gemeinsamen, ungeteilten Sicherheitsraum zu schaffen und die eigene Sicherheit nicht zu Lasten der Sicherheit von Partnern zu erhöhen. Russland wirft der Nato vor, diese Versprechen nicht eingehalten zu haben.

Nun hat Russland am 17. Dezember zwei Vertragsentwürfe vorgelegt. Darin schlägt Moskau vor, zum Status von 1997 zurückzukehren, keine zusätzliche Erweiterung der Nato mehr vorzunehmen und keine Kampftruppen oder weitreichenden Raketensysteme an den Grenzen Russlands zu stationieren.

Das Interview führte Jens Lindner.

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