Ukraine: Der Kampf der Strom-Ingenieure

    Russische Luftangriffe:Ukraine: Der Kampf der Strom-Ingenieure

    ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh
    von Dara Hassanzadeh, Kiew
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    Noch vor wenigen Wochen exportierte die Ukraine Strom nach Europa. Jetzt steht das eigene Netz vor dem Kollaps. Um den abzuwenden, wird der knappe Strom gezielt zugeteilt.

    Kerzen, Gaskartuschen für Bunsenbrenner und Powerbanks sind derzeit sehr gefragte Artikel in Kiew. Gerne auch in dieser Kombination. Trotz nahezu neun Monaten Krieg kommt es allgemein kaum zu Hamsterkäufen. Aber all diese praktischen Hilfsmittel für den Fall eines Stromausfalls sind in den Regalen kaum zu finden.
    Die meisten Menschen, die man trifft, geben sich gelassen. Inessa, eine Grafikdesignerin, gehörte zu denen, die sich noch am ersten Tag der gezielten Stromabschaltung mit dem Nötigsten eindecken musste. "Es gibt einen Witz", sagt sie: "Die Russen versuchen, uns durch Stromausfall in Panik zu versetzen.

    Aber wir Ukrainer gehen nach Hause, zünden die Kerzen an und genießen die romantische Atmosphäre.

    Inessa, Grafikdesignerin

    Und auf ihre Wohnung trifft das tatsächlich zu. Ukrainer lieben schwarzen Humor.
    Menschen arbeiten an der Beseitigung von Trümmern, nach einem nächtlichen russischen Beschuss in Sloviansk (Ukraine), aufgenommen am 10.10.2022
    Russland greift verstärkt Kraftwerke ukrainischer Städte an. Die Folge: Viele Menschen sind ohne Strom und Gas. Das lässt ihre Sorgen vor dem Winter wachsen.19.10.2022 | 2:19 min
    Wie ernst es um die ukrainische Stromversorgung steht, spürt man sofort, wenn man mit Dimitriy Sakharuk spricht. Er ist im Vorstand von DTEK, dem größten Energieversorger der Ukraine. Eines ihrer Kraftwerke wurde viermal bombardiert. "Wir haben bereits sieben Mitarbeiter durch Luftangriffe der Russen verloren, mehr als 220 sind zum Teil schwer verletzt", sagt er.

    Unsere Mitarbeiter riskieren täglich ihr Leben, ...

    Dimitriy Sakharuk

    ... wissend, dass die Kraftwerke das Hauptziel der russischen Luftangriffe sind", führt Sakharuk fort. "Aber die Menschen brauchen Strom."

    Landesweiter Netzausfall wäre "desaströs"

    Um das im Krieg zu gewährleisten, muss eine Notbesetzung in den Kontrollräumen der Kraftwerke anwesend sein. Immer, auch bei Luftalarm. Es dauert mehrere Stunden, bis ein Kraftwerk heruntergefahren werden kann. Deshalb können die Diensthabenden aus dem Kontrollraum nicht spontan in den Bunker gehen.
    Ukraine: Stromnetz "hat kaum Reserven"
    "Man versucht schneller zu reparieren als die neuen Luftangriffe kommen", trotzdem sei "die Stromversorgung flächendeckend in Gefahr", so ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh.19.10.2022 | 2:05 min
    Das ukrainische Stromnetz funktioniere "wie eine Kupferplatte", so Sakharuk, überall müsse gleich viel Strom sein. Gelingt es den Stromversorgern nicht, Verbrauch und Produktion des Stroms anzugleichen, dann droht der Ukraine der Zusammenbruch des Stromnetzes, ein Winter ohne Stromversorgung. "Die Folgen eines unkontrollierten, landesweiten Stromnetzausfalls wären desaströs, nicht mehr in Kürze zu beheben", so Sakharuk.

    Reparaturteams kommen kaum hinterher

    Der totale Blackout ist die Urangst der Stromversorger. Um ihn trotz weiter anhaltender Luftangriffe auf Kraft- und Umspannwerke zu verhindern, hat die Ukraine für jeden Straßenzug im Land zeitlich genau festgelegte Stromzuteilungen bekanntgegeben. Auf Wochen vorausgeplant und auf die Minute für jeden Bürger nachlesbar auf der Website "Yasno".
    Angriffe auf Elektrizitätswerke
    Nach zahlreichen russischen Angriffen auf die Strom-Infrastruktur der Ukraine befindet sich das Land nach eigenen Angaben in einer 'kritischen' Lage.19.10.2022 | 2:19 min
    Doch auch diese Maßnahmen bieten nur Aufschub. Die Reparaturteams der Energieversorger kommen der Zerstörung der Kraftwerke und des Stromnetzes durch die russische Armee kaum hinterher. Besonders problematisch ist die Beschaffung von Ersatzteilen. Die Lager sind leer. Langfristig kann nur eine moderne Luftabwehr die Stromversorgung sicherstellen, daran zweifelt kaum ein Energieexperte in der Ukraine.
    Das Haus im Kiewer Zentrum, in dem Inessas Wohnung liegt, wird ab 16 Uhr keinen Strom mehr haben. Die kommende Woche hat sich die Grafikdesignerin bereits mit ihren Arbeitskollegen abgesprochen. Der Dienstplan wird sich nun an der Stromversorgung ausrichten. Genauso wie der Restaurantbesuch am Wochenende.

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