Mehr als eine Million Ukrainer sollen nach Russland gebracht worden sein - teils gegen ihren Willen. Darauf deuten Augenzeugenberichte hin. Was wir wissen.
Was ist über eine mögliche Verschleppung von Ukrainern nach Russland bekannt?
Fast 1,1 Millionen Menschen sollen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Russland gebracht worden sein - darunter 200.000 Kinder. Diese Zahl gab das russische Militär am Montag bekannt. Die Interpretation Russlands: Diese Menschen seien freiwillig in Sicherheit gebracht worden. Gezwungen werde niemand, behauptet der Kreml.
Doch ukrainische Augenzeugen berichten das Gegenteil. Eine Frau aus Mariupol etwa sagte dem britischen "Guardian" im April:
Eine weitere Frau aus Mariupol, die gegen ihren Willen nach Russland gebracht wurde, sagte der "Washington Post":
Der BBC sagte eine weitere Person aus Mariupol:
Doch nicht alle, die nach Russland gebracht wurden, waren unglücklich darüber. Eine andere Frau berichtete dem "Guardian", dass sie Familie in Russland habe und sie angesichts der Gefechte froh sei, in Sicherheit zu sein. Wie viele Menschen also tatsächlich gegen ihren Willen verschleppt wurden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Der Militär-Experte Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni gibt auch zu bedenken: "Bei Mariupol hat die russische Seite humanitäre Korridore lange Zeit nur gebilligt, wenn diese auch nach Russland geführt haben. Die Berichte der Betroffenen könnten damit zusammenhängen."
[Lesen Sie hier, wie sich Berichte über entführte Bürgermeister, Journalisten und Aktivisten in den von russischen Truppen besetzten Gebieten häufen.]
- Donbass: Wie es zur Separatisten-Bewegung kam
Warum ist die Russland-Bindung in Luhansk und Donezk so viel größer als im Rest der Ukraine? Und warum kam es zur Abspaltung? Ein Blick in die Geschichte gibt Aufschluss.
Der Weg nach Russland: Was passiert in den Filtrationszentren?
Mehrere Zeugen berichten von einer ähnlichen Vorgehensweise: Mit Bussen habe man sie zu den sogenannten Filtrationszentren gebracht. Dort wurden sie und ihre Handys durchsucht, Fingerabdrücke von ihnen genommen, bei Männern teils nach Tattoos und Waffen gesucht, einige berichteten auch davon, dass der Geheimdienst FSB sie befragt habe. Russland zufolge sollen in den Lagern Kämpfer von Zivilisten getrennt werden.
Präsident Selenskyj stuft die Zentren drastischer ein. In einer seiner täglichen Videoansprachen sagte er Ende April: "Der ehrliche Name dafür ist ein anderer - das sind Konzentrationslager. So wie sie die Nazis seinerzeit gebaut haben."
Filtrationslager stammen aus der Zeit der Sowjetunion. Sie dienten dazu, bei den aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Soldaten zu überprüfen, wer ein "Verräter" war und wer nicht.
Hinweise auf ein solches Lager gibt es beim Dorf Bezymenne, rund 30 Kilometer östlich von Mariupol. Drohnen-Aufnahmen und ein Satellitenbild vom 22. März zeigen, dass Russland dort eine Zeltstadt aufgestellt hatte. Die Putin-nahe Zeitung "Rossiyskaya Gazeta" hatte berichtet, dass dort 5.000 Menschen versorgt worden seien.
Was passiert mit den Menschen in Russland?
Das ukrainische Verteidigungsministerium behauptet, dass Ukrainer massenweise unter anderem nach Sachalin gebracht werden, eine Insel weit im Osten Russlands. Laut "New York Times" fürchtet die ukrainische Seite, dass Verschleppte zu Zwangsarbeit herangezogen werden könnten. Bei Sachalin etwa befinden sich bedeutende Gas- und Erdölvorkommen Russlands.
Die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, schrieb vor zwei Wochen auf Telegram, dass 308 Ukrainer aus Mariupol gegen ihren Willen mit dem Zug in den fernen russischen Osten gebracht worden seien. Von ihnen werde dort erwartet, sich Arbeit zu suchen, so Denisowa.
Andere Zeugen berichteten dagegen davon, dass sie nach dem Durchlaufen der Filtrationszentren auch wieder aus Russland ausreisen durften. Gegenüber der Deutschen Welle sagte ein 31-Jähriger:
Die USA befürchten die Angliederung ostukrainischer Gebiete durch Russland. Zum "Tag des Sieges" am 9. Mai müsse Putin Erfolge präsentieren, sagt ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf.
Wie ordnen Menschenrechtsorganisationen mutmaßliche Verschleppungen ein?
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sagte dem RND am Mittwoch:
Allerdings kritisierte der Pro-Asyl-Geschäftsführer auch, dass Männer im wehrfähigen Alter die Ukraine nicht verlassen dürften. "Es ist ebenfalls ein Menschenrecht, an einem Krieg nicht teilnehmen zu wollen."
Amnesty International sagt gegenüber ZDFheute, dass sie Berichte noch prüfen, wonach Ukrainer gegen ihren Willen nach Russland gebracht werden.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.