Russlands Ausschluss aus UN-Sicherheitsrat realistisch?

    Initiative der Ukraine:Moskaus Ausschluss aus UN-Rat realistisch?

    von Susanne Lingemann, New York
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    Die Ukraine stellt die Mitgliedschaft Russlands in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat infrage. Aber ist die Kiewer Initiative wirklich umsetzbar?

    Hauptquartier der Vereinten Nationen
    Die Vereinten Nationen, englisch abgekürzt UN, haben ihren Sitz in New York, USA.
    Quelle: Imago

    Die Ukraine hat bei den Vereinten Nationen den Antrag gestellt, als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat aufgenommen zu werden. Russland solle demnach nicht mehr Teil des Gremiums sein.
    Die Argumentation: Nach der Charta der Vereinten Nationen (UN) bedarf die Aufnahme eines Staates in die Gemeinschaft einer Empfehlung durch den Sicherheitsrat und einer anschließenden Resolution durch die Generalversammlung. Dies gilt auch für Staaten, die aus einem anderen Staat hervorgehen, der bereits Mitglied der Vereinten Nationen war.
    So wurden 1993 die Slowakei und die Tschechische Republik in die Vereinten Nationen aufgenommen, nachdem sich die Tschechoslowakei in diese Staaten aufgespalten hatte.

    Russland hat Vereinte Nationen über Rechtsnachfolge "informiert"

    Nach der Auflösung der Sowjetunion hat es diesen Prozess für die Aufnahme Russlands nicht gegeben. Im Dezember 1991 informierte der russische Präsident Boris Jelzin die Vereinten Nationen lediglich über die Auflösung der Sowjetunion und die Übernahme der Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen durch Russland als Rechtsnachfolger.
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    Die Ukraine argumentiert deshalb, die Russische Föderation sei nie offiziell in die Weltorganisation aufgenommen worden. Daniel Naujoks, Direktor des Programms zu den Vereinten Nationen an der Columbia University, ordnet das so ein:

    Es ist eine juristische Spitzfindigkeit der Ukraine und völkerrechtlich Humbug.

    Daniel Naujoks, Direktor des Programms zu den Vereinten Nationen

    Auch im Völkerrecht gibt es Gewohnheitsrecht

    "Dreißig Jahre wurde nie angezweifelt, dass Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR im Sicherheitsrat sitzt. Das spricht für eine rechtliche Verfestigung im Sinne des Völkergewohnheitsrechts", erklärt Naujoks.
    "Im Gegensatz zu anderen Fällen der Staatennachfolge vereinbarten die sowjetischen Teilrepubliken 1991, dass Russland die Position der UdSSR in allen internationalen Organisationen fortführen sollte - ausdrücklich auch den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat."

    Fix: Russland hat "Prinzipien der UN massiv verletzt"

    Als Ständiges Mitglied mit Vetorecht würde Russland ein Ausschlussverfahren verhindern und könnte auch auf ein Veto der Chinesen setzen, meint die Historikerin und Politologin Liana Fix.

    Es gibt ein paar kreative Ideen, wie Russland rechtlich herausgefordert werden kann mit Blick auf den permanenten Sitz.

    Liana Fix, Osteuropa-Expertin Center on Foreign Relations

    "Insbesondere da Russland die Prinzipien der UN massiv verletzt hat und sein Vetorecht zum eigenen Schutz ausübt", ergänzt Fix.
    Als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und frühere Teilrepublik der UdSSR sei die Ukraine den Grundsätzen der Vereinten Nationen treu geblieben und könnte Anspruch auf den Sitz der UdSSR erheben und Akkreditierungspapiere einreichen.

    UN könnte über Kiewer Initiative mit Mehrheitsvotum entscheiden

    Es wäre dann eine Verfahrensfrage, bei der im Sicherheitsrat mit einer einfachen Neunstimmenmehrheit entschieden werden könnte. Die Generalversammlung müsste die Wahl dann mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigen.
    "Russland hat mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine seine permanente Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat und die damit einhergehende Verantwortung ad absurdum geführt", meint Liana Fix.

    Russland ist in der Generalversammlung der UN isoliert.

    Liana Fix, Center for Foreign Relations

    "Auch wenn es unrealistisch erscheint, sollten alle denkbaren Möglichkeiten ausgelotet werden - wenn auch nur, um den Druck auf Russland zu erhöhen und zu signalisieren, dass das Vetorecht im Sicherheitsrat kein Freifahrtschein ist."

    Neujoks: "Kernakteure" besser in Vereinten Nationen halten

    Doch wäre ein Ausschluss Russlands realpolitisch sinnvoll? Daniel Naujoks zweifelt das an. Die Struktur des Sicherheitsrats spiegele die Imperfektionen der globalen Staatengemeinschaft wider, meint er.

    Es ist leider oft wichtiger, dass Kernakteure mit militärischer und geopolitischer Macht die Gremien der Vereinten Nationen nutzen, als diese Institutionen demokratisch und gerecht auszugestalten.

    Daniel Naujoks

    "Jenseits des jetzigen Krieges wäre es problematisch, die Atom- und Militärmacht Russland von der aktiven Teilnahme am Sicherheitsrat auszuschließen", ist sich Naujoks sicher.
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