Der Politikwissenschaftler Bröchler sieht einen Glaubwürdigkeitsschaden für die Union, ausgelöst durch den Machtkampf um die K-Frage. Die "Machtmaschine" Union sei defekt.
ZDFheute: Die Union galt über Jahrzehnte als pragmatische Regierungspartei, als Machtmaschine, die insbesondere vor Wahlen geräuschlos und geölt lief. Inwiefern hat die Union jetzt die Wahl zwischen einem Kandidaten, den Fraktion und Basis nicht wollten, und einem, den die CDU-Führung nicht wollte?
Stephan Bröchler: Die Machtmaschine Union ist defekt. Es gibt derzeit kein strategisches Zentrum. Früher war es das Kanzleramt, von hier wurde im Grunde die Union und die Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig regiert. Was wir jetzt erleben, sind Auflösungserscheinungen, dass wir plötzlich verschiedene Machtzentren haben und eine Konkurrenz einsetzt. Was ist heute der Ort der letzten Entscheidung?
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ZDFheute: Markus Söder hat nach dem klaren Stimmungsbild pro Laschet in den CDU-Gremien vom "Hinterzimmer" gesprochen, auf seine deutlich besseren Umfragen verwiesen und gefordert, man dürfe sich nicht von den Menschen im Land abkoppeln. Legt er so die Axt an die Grundfesten der CDU?
Bröchler: Er stellt damit die Parteistruktur der CDU nachhaltig in Frage, denn mit der sogenannten Hinterzimmerpolitik ist die Union ja bisher sehr gut gefahren. Das war immer die Möglichkeit zu Entscheidungen zu kommen, abgesegnet über die gewählten Führungsgremien.
Wenn er gewählte Entscheidungsgremien, wie den Bundesvorstand und das Präsidium, quasi als "Hinterzimmer" diskreditiert, dann nimmt das innerparteiliche Repräsentationsprinzip Schaden.
ZDFheute: Ausgerechnet Friedrich Merz hat nun davor gewarnt, von Hinterzimmer zu sprechen und die Autorität der CDU-Führungsgremien zu hinterfragen. Wie glaubwürdig ist das?
Bröchler: Friedrich Merz muss sich dann vom Saulus zum Paulus gewandelt haben. Noch vor wenigen Monaten im Rennen um den Parteivorsitz hatte er selbst eher abschätzig davon gesprochen, im CDU-Establishment laufe angeblich die 'Aktion Merz verhindern'.
In einer früheren Phase diese Gremien indirekt in Frage zu stellen und jetzt stärken zu wollen in der Auseinandersetzung mit Söder, das ist zumindest fraglich.
ZDFheute: Die SPD hat bei den drei vergangenen Bundestagswahlen stets den aktuellen Umfragekönig dem aktuellen Parteichef vorgezogen: Steinmeier statt Beck, erst Steinbrück dann Schulz statt Gabriel. Ausgezahlt hat sich das nicht. Lässt sich das für Laschet ins Feld führen?
Bröchler: Der Umfrage-König von heute kann schnell der Wahlverlierer von morgen sein. Popularität in der Bevölkerung muss durch politische Inhalte und die Fähigkeit Brücken zu bauen in verschiedene Parteiströmungen und Wählergruppen hinein ergänzt werden. Alleine auf das Kriterium 'Wer ist gerade Umfragekönig?' zu schielen, ist eine gefährliche Strategie.
Die SPD hat gezeigt, dass das ganz häufig nach hinten los geht. Etwa vor vier Jahren bei Martin Schulz, da waren die Umfragen am Anfang phänomenal. Als diese dann erodierten, blieb von der Kandidatur nicht viel mehr übrig als das Image als gefallener Umfrage-Held.
Interview- "Meinungsbild, aber keine ganz klare Tendenz"
Die Bundestagsfraktion spielt zunehmend eine größere Rolle bei der K-Frage der Union. Ein Interview mit zwei CDU-Fraktionsmitgliedern zeigt, wie gespalten die Partei ist.
ZDFheute: In der Union selbst werden ja mehr oder weniger verklausuliert zwei Narrative gestreut, je nach Lager: Söder sei der skrupellose Populist, Laschet das unpopuläre Weichei.
Bröchler: Das kann sehr negativ nachwirken und zeigt wie stark die Verunsicherung innerhalb der Union ist. Insbesondere die Äußerungen, die man aus der Fraktion über den eigenen Vorsitzenden nachlesen konnte, sind verheerend.
Die Art und Weise wie der Machtkampf geführt wird, auf der einen Seite das Bild des machtgeilen Populisten, auf der anderen das rheinische Weichei, das munitioniert natürlich auch den politischen Gegner im Wahlkampf. Das sind Steilvorlagen, da hat die Union die Giftpfeile für den politischen Gegner quasi schon selbst geschnitzt.
ZDFheute: Wenn es doch Laschet wird, wie sollte die Union im Wahlkampf noch glaubwürdig vermitteln, dass ein derart von den eigenen Leuten demontierter Spitzenkandidat, dem in der eigenen Fraktion faktisch quasi das Misstrauen ausgesprochen wurde, der richtige Kanzler sein soll?
Bröchler: Den Glaubwürdigkeitsschaden, den die Kandidaten wechselseitig aneinander anrichten, das ist eine ganz erhebliche Hypothek. Und es wird schwerfallen als strahlender Kandidat dann in den Bundestagswahlkampf zu gehen. Das wird eine enorme Belastung.
Damit das halbwegs gelingen kann, bräuchte es funktionierende Parteistrukturen, die geölte Machtmaschine Union, doch genau die wird gerade durch den aktuellen Streit enorm beschädigt. Also beißt sich die Katze in den Schwanz.
Die Fragen stellte David Gebhard.