Der Angriff aufs Kapitol war offenbar gut geplant. Trump hatte seine Anhänger über vier Jahre eingeschworen. Und sie waren auf diesen Tag vorbereitet, analysiert Elmar Theveßen.
Es geschieht am 15. Februar bei einem Besuch in Miami. Rund 25.000 Menschen kommen in den Bayfront Park, um den gewählten Präsidenten zu sehen. Unter ihnen ist einer mit einer Waffe, einem fünfschüssigen Revolver. Er sitzt in der dritten Reihe, zehn Meter von dem Ort, an dem sein Ziel die Menge begrüßen wird.
Als der Präsident da ist, klettert der Attentäter auf den Klappstuhl, fünf Schüsse fallen, fünf Menschen werden verletzt, einer wird drei Wochen später an den Folgen der Schusswunde sterben. Er hat die Kugel abbekommen, die eigentlich für den Präsidenten bestimmt war.
All das geschieht nicht im Jahr 2021. Der Anarchist Guiseppe Zangara versuchte 1933, den damals noch nicht vereidigten Präsidenten Franklin Delano Roosevelt zu ermorden.
Anhänger Trumps überzeugt, das Land retten zu müssen
Es könnte wieder geschehen, ein Attentat wie damals oder wie auf John F. Kennedy 1963, diesmal auf den neuen Präsidenten Joe Biden oder seine Vizepräsidentin Kamala Harris. Und die, die es ausführen würden, wären fest davon überzeugt, das absolut Gute zu tun.
Das war mein Eindruck von zahlreichen Menschen, mit denen wir am Mittwoch am Kapitol in Washington zu tun hatten. Die, mit denen wir sprechen konnten, waren mit jeder Faser ihres Körpers davon überzeugt, dass ihr Idol Donald Trump die Präsidentschaftswahl im November gewonnen hat und dass jedes Mittel gerechtfertigt ist, um die angeblich gestohlene Wahl zu rächen und das Land vor dem angeblichen Untergang zu retten.
Stück für Stück wird klar, wie nah die Vereinigten Staaten beim Sturm auf das Parlament einem Umsturz kamen. Denn unter den wütenden Demonstranten befanden sich offenbar Milizionäre, die deutlich weiter hätten gehen können.
Ein im Internet koordinierter Angriff
In den Tagen zuvor tauschten sie sich in Foren über die Zugangswege ins Kapitol aus. "Die Türen sind so dick wie in einer Burg", schrieb User SR91Aurora. MAGAconvert antwortete: "Da sind Seitentüren für Besucher, das sind normale Türen. Außerdem gibt es Tunnel von der Kongressbibliothek und von den Bürogebäuden gegenüber."
Weiter schreibt er, "der 6. Januar ist die Chance, das Land zu retten. Über viele Eingänge ins Kapitol einzudringen, ist der beste Weg, unser Ziel zu erreichen und sicherzustellen, dass wir die Verräter festnehmen können."
Der Angriff war offenbar koordiniert. Gegenüber der Nachrichtenplattform Buzzfeed beschreibt ein Beamter der Capitol Police, dass ihm morgens um 9 Uhr ein Freund eine Nachricht weitergeleitet hatte:
Polizisten und Ex-Soldaten unter den Milizionären
Der Polizeibeamte glaubt, dass die Milizionäre bereit waren, Parlamentarier als Geiseln zu nehmen und zu töten: "Das war eine gut trainierte Gruppe von Miliz-Terroristen. Die hatten Funkgeräte, direkte Kommunikation über Ohrhörer. Sie hatten Bärenspray. Sie hatten Blendgranaten. Sie waren vorbereitet. (…) Diese Typen waren militärisch gedrillt. Viele von ihnen ehemalige Soldaten." Offenbar seien auch aktive Polizisten aus anderen Landesteilen dabei gewesen.
Auf dem Bildmaterial sind tatsächlich überall kleine Gruppen von Männern mit Schutzwesten und Helmen zu sehen: Einige kommunizieren über Funkgeräte, andere haben Plastikfesseln mit zwei Schlaufen dabei, mit denen man Menschen fesseln und Türen verriegeln kann.
Auch der Oberstleutnant im Ruhestand Larry Brock aus Texas taucht mit solchen Kabelbindern in der Hand auf Fotos aus dem Senatssaal des Kongresses auf. Brock, der vom Rechercheteam Citizen Lab von der University of Toronto identifiziert wurde, ist ein hochdekorierter Kriegsveteran und glühender Trump-Anhänger. In einem Interview behauptet der Ex-Soldat, er habe sich an keinen Gewalttaten beteiligt.
Pence sollte als Verräter hingerichtet werden
Auf einem Video ist zu sehen, dass nur durch einige mutige Beamte der Capitol Police eine Reihe von Abgeordneten und ihre Mitarbeiter fliehen konnten, bevor die Angreifer die Türen zu den Kammern des Kongresses durchbrachen.
Was, wenn sie Geiseln genommen hätten? Was, wenn ihnen Vizepräsident Mike Pence in die Hände gefallen wäre? Schon draußen vor dem Parlamentsgebäude hatten einige nach der Hinrichtung des angeblichen "Verräters" Pence gerufen, weil der Vizepräsident die Wahlmännerstimmen einiger Bundesstaaten nicht für ungültig erklären wollte.
Viele der Angreifer führten rassistische Symbole mit sich, einige beschimpften schwarze Beamte der Capitol Police mit dem N-Wort. Die vielen Videos und Fotos eines bunt zusammengewürfelten Mobs mit teils skurrilen Gestalten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass am vergangenen Mittwoch auch Extremisten am Werk waren, die fähig und entschlossen genug sind, Terroranschläge und Attentate zu verüben. Das FBI sieht in ihnen die größte Bedrohung für die amerikanische Demokratie. Das liegt auch an ihrem unerschütterlichen Irrglauben, dass das Überleben Amerikas allein in ihren Händen liegt.
- "Wir kommen zurück in großer Zahl"
Nach der Erstürmung des Kapitols wollen die radikalen Anhänger Donald Trumps nicht aufgeben. Militante Aktivisten rufen zu neuer Gewalt bei der Amtseinführung von Joe Biden auf.
Den Glauben, das "absolut Gute" zu tun hat Trump gepflanzt
Ein Stück weit erinnert das an das, was der damalige Außenminister Joschka Fischer nach den Terrorangriffen der Al-Kaida am 11. September 2001 seinen Mitarbeitern sagte: "Glaubt nicht, dass da das Böse am Werk war, sondern das 'vermeintlich absolut Gute'."
So wie bei Himmler, der das tat, was er tat, weil er glaubte, das 'absolut Gute' zu tun." Genau diesen Glauben hat Donald Trump in seinen Anhängern gepflanzt. Sie schrecken vor nichts zurück, auch nicht vor Attentaten wie das am 15. Februar 1933, das Franklin D. Roosevelt nur mit viel Glück überlebte.
Elmar Theveßen ist Korrespondent im ZDF-Studio Washington. Dem Autor auf twitter folgen: @ethevessen