US-Präsident Joe Biden (Archivbild)
Quelle: Reuters
Joe Biden müsste sich jetzt eigentlich am Strand von Kiawah Island, der idyllischen Insel an der Küste South Carolinas, eine Riesenportion seines geliebten Vanilleeises mit Schokostückchen gönnen - als Belohnung für seine Auferstehung aus dem Sumpf chronischer Erfolglosigkeit.
Einstieg in die Transformation der Gesellschaft
Vielleicht unterzeichnet er das gerade verabschiedete "Inflationssenkungsgesetz" sogar noch in seinem Familienurlaub. Denn das
Paket über 440 Milliarden Dollar an Ausgaben ist der Einstieg in die Transformation der amerikanischen Gesellschaft.
Allein 370 Milliarden Dollar gibt es zur Förderung von Wind- und Solartechnologie, Steuerfreibeträge für Endverbraucher, die auf Erneuerbare umsteigen. Milliarden für den Bau von Fabriken für Batterien und
E-Autos.
Das US-Repräsentantenhaus wird heute wohl grünes Licht für Bidens Klimapaket geben. Damit kann er sein Wahlversprechen endlich einlösen. Aber ist es wirklich auch ein großer Wurf?
von Mark Hugo
Klimaneutralität rückt erstmals in Reichweite
Obwohl als Teil des Deals auch fossile Brennstoffe gefördert werden, ist es die größte Investition in saubere Energien in der US-Geschichte. Amerikas Ziel
Klimaneutralität 2050 rückt erstmals in Reichweite. Und nur weil die
USA voranschreiten, gibt es eine Chance, auch andere Staaten wie
China und Indien zum Mitmachen zu bewegen.
Das neue Gesetz soll außerdem die Kosten im Gesundheitswesen senken, Preise für Medikamente drücken, Zuschüsse für die Krankenversicherung erhalten.
Mehrere Erfolge für Biden in den letzten Wochen
Auch wenn das Paket ursprünglich viermal so groß sein sollte; auch wenn es nun kleingemahlen ist dank störrischer Parteifreunde Bidens wie Senator Joe Manchin und Senatorin Kyrsten Sinema; auch wenn der Name eine Mogelpackung ist, weil Riesensummen aus dem Staatssäckel die verfügbare Geldmenge erhöhen und so die
Inflation nicht wirklich bremsen, ist es doch ein Riesenerfolg des Präsidenten, einer von vielen in den letzten Wochen.
52 Milliarden Dollar in einem Hochtechnologiegesetz für den Ausbau der Halbleiter- und Mikrochipproduktion; die erste - wenn auch kleine - Verschärfung des Waffenrechts seit mehr als 30 Jahren; außerdem entfaltet sich die Wirkung des
Corona-Hilfsgesetz über 1,9 Billionen Dollar und des Infrastrukturpaket über 1,2 Billionen Dollar aus dem vergangenen Jahr; die Benzinpreise sind in den vergangenen vier Wochen endlich wieder massiv gesunken; der Arbeitsmarkt brummt, über eine halbe Million neuer Jobs im Juli, die Arbeitslosenrate knapp über drei Prozent; die Lieferkettenkrise entspannt sich leicht; die Inflation bremst sich offenbar ab.
Republikaner machen taktische Fehler
Und dann sorgt auch noch das umstrittene Urteil des Obersten Gerichtshofes zum
Abtreibungsrecht für eine Mobilisierung der demokratischen Wähler. Selbst Unabhängige und moderate
Republikaner/innen stellen sich gegen drakonische Abtreibungsgesetze.
Und die republikanischen Abgeordneten in Washington bringen mit taktischen Fehlern einen Teil ihrer eigenen Wähler gegen sich auf: Sie stoppten zumindest kurzzeitig ein Gesetz über staatliche Hilfen für Veteranen, die durch die offene Verbrennung von Abfällen auf Militärbasen in Krisengebieten krank wurden. Und sie stimmten beim neuen Klima-Gesundheits-Steuerpaket gegen eine Preisobergrenze für Insulin.
Mehrheit für Demokraten bei Zwischenwahlen nicht ausgeschlossen
Die Erfolge Bidens und die Fehlgriffe der Republikaner könnten dazu führen, dass der Präsident bei den Zwischenwahlen im November die demokratischen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses vielleicht sogar erhalten kann. Es wäre eine Riesenüberraschung und ein Comeback eines Totgesagten, dessen Zustimmungsraten gerade - langsam - wieder in die Höhe kriechen.
Alles in allem kann Joe Biden seine Glückssträhne vermutlich kaum fassen. Aber weil er auch selbst einiges dazu beigetragen hat, erscheint eine Riesenportion Vanilleeis mit Schokostückchen - sagen wir mal - nicht ganz unverdient.