Eine neue Studie aus den USA zeigt, dass die Sterblichkeitsrate in republikanisch geprägten Bezirken höher ist als anderswo. Forscher sehen die Ursache in der Gesundheitspolitik.
Welche Einflüsse entscheiden darüber, wie lange wir leben? In den USA könnte das politische Umfeld eine entscheidende Rolle spielen, wie eine neue Studie zeigt. Forscher der Harvard Medical School haben die altersbereinigten Todesraten in mehr als 3.000 Bezirken im ganzen Land verglichen und den Wahlergebnissen bei vier Präsidentschaftswahlen zwischen 2000 und 2019 gegenübergestellt.
Das Ergebnis: Es gibt eine zunehmende Lücke zwischen den Sterblichkeitsraten in demokratisch und republikanisch geprägten Bezirken.
Dort, wo mehrheitlich für die Demokraten gestimmt wurde, ist die Todesrate von 2000 bis 2019 stetig zurückgegangen. "Genau das würde man bei den Fortschritten in der Medizin und im Gesundheitswesen überall erwarten", sagt Haider Warraich, Kardiologe und Co-Autor der Studie, "doch in republikanisch geprägten Gebieten stagniert die Rate."
Dort starben 2019 durchschnittlich rund 16 Prozent mehr Menschen frühzeitig als in überwiegend demokratisch wählenden Bezirken. Auch wenn andere Faktoren wie das Geschlecht oder die Bevölkerungsdichte einbezogen werden, bleibt die Lücke bestehen.
Spurensuche in der Parteienpolitik
Eine der wichtigsten Ursachen dafür seien die unterschiedlichen Ansätze beider Parteien in der Gesundheitspolitik, sagt Warraich:
So ist etwa das von Ex-Präsident Barack Obama erweiterte Medicaid-Programm, das medizinische Kosten für Amerikaner mit geringem Einkommen übernimmt, in zwölf Bundesstaaten bis heute nicht umgesetzt worden - zehn davon sind aktuell unter republikanischer Führung.
Viele Faktoren beeinflussen die Lebenserwartung
Leben Amerikaner in demokratisch regierten Bundesstaaten also länger als unter republikanischer Führung? "Ganz so einfach ist es nicht", sagt Steven Woolf, emeritierter Professor für Öffentliche Gesundheit an der Virginia-Commonwealth-Universität.
In der Forschung würden fünf Faktoren diskutiert, welche die Lebenserwartung in den USA und anderswo beeinflussen: Das Gesundheitssystem, das individuelle Verhalten, das sozial- und wirtschaftspolitische Umfeld, ökologische und infrastrukturelle Faktoren - und politische Entscheidungen.
Nachdem der Untergang der Stahl- und Automobilindustrie in Ohio viele Menschen den Job kostete, schafft die Energiewende jetzt Perspektiven.
"Die fünfte Kategorie ist aus meiner Sicht vielleicht die wichtigste von allen", sagt Woolf, denn sie präge zunehmend die anderen vier Faktoren. In den Bundesstaaten, die sich die Kompetenzen in der Gesundheitspolitik mit der Bundesregierung teilen, beobachte er seit 2010 eine verschärfte parteipolitische Polarisierung - "bis zu einem absurden Ausmaß, wo politische Entscheidungen getroffen werden, die schlecht für die Bevölkerung sind, nur weil die Partei das so will".
Parteien verfolgen unterschiedliche Ansätze in der Pandemie
Besonders deutlich sei das im Umgang mit der Corona-Pandemie geworden, sagt Woolf. In einigen Staaten sei dieser fast ausschließlich von politischen Erwägungen bestimmt worden.
Viele republikanische Gouverneure hätten etwa Maßnahmen wie eine Maskenpflicht kategorisch ausgeschlossen, "quasi als ein Zeichen der Treue zur Partei. Demokratisch regierten Staaten haben dagegen einen proaktiveren Ansatz zur Eindämmung des Virus verfolgt - und die Unterschiede in den Sterberaten waren enorm", sagt Woolf.
Unterschiede während der Corona-Krise
Das zeigt auch eine Analyse der "New York Times", in der die Todesraten durch Covid-19 mit den Wahlergebnissen bei der Präsidentschaftswahl 2020 verglichen wurden: In Bezirken, in denen die Republikaner mehr als 60 Prozent der Stimmen erhielten, starben im Oktober 2021 durchschnittlich 25 Menschen pro 100.000 Einwohner an Covid-19. Dagegen gab es in Bezirken, in denen mehr als 60 Prozent die Demokraten wählten, nur 7,8 Todesfälle pro 100.000 Einwohner.
Da es diesen Unterschied zu Beginn der Pandemie noch nicht gegeben habe, liege es nahe, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Parteien und ihrer Anhänger an die Corona-Maßnahmen zumindest teilweise dafür verantwortlich sind, heißt es in der Analyse.
Auch vor der Pandemie sei das individuelle Verhalten der Amerikaner zunehmend durch die Parteizugehörigkeit geprägt worden, sagt Kardiologe Warraich. So machen Anhänger der Republikaner Studien zufolge im Schnitt seltener Sport und rauchen häufiger.
Sterblichkeitslücke wird wohl größer
Gesundheitsexperte Woolf sieht kaum Anzeichen dafür, dass die beiden Parteien sich in absehbarer Zeit wieder politisch annähern. Stattdessen gehe der Trend eher zu einer noch stärkeren Polarisierung der Politik, auch auf Ebene der Bundesstaaten.
Dadurch werde sich die Lücke in den Sterblichkeitsraten in Zukunft wohl noch weiter vergrößern, prognostiziert Warraich. "Die Lebenserwartung eines Amerikaners", fasst Woolf zusammen, "wird voraussichtlich immer mehr davon abhängen, wo er lebt."