Die USA sind innenpolitisch gespalten, außenpolitisch ziehen sie sich von der Weltbühne zurück. Ex-Außenminister Gabriel blickte bei "Lanz" mit großer Sorge auf diese Entwicklung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA für eine Weltordnung gesorgt. Jetzt wollen die Amerikaner aus dieser Rolle raus - so skizziert Sigmar Gabriel es bei Markus Lanz.
Radikale Trumpisten und liberale Bewegungen stehen sich in den USA konträr gegenüber. In der Welt wächst die Sorge vor einer neuen Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps. Und essentielle Fragen nach dem Führungsanspruch in der Welt und der Vormachtstellung des Westens stehen in diesen Zeiten zur Debatte.
Im Anschluss an die Dokumentation "Markus Lanz - Amerika ungeschminkt", sprach Lanz auch mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel über das Post-Trump-Amerika und die Frage gesellschaftlicher Spaltung innerhalb der ältesten Demokratie der Welt.
Gabriel: Waren gewohnt, dass die USA führen
Der politische Wandel der Vereinigten Staaten von Amerika hat Auswirkungen auf die Weltpolitik. Auswirkungen, die einladen, über den Weltpolizisten USA und den Westen in der Vergangenheitsform zu sprechen.
Das tat der frühere Außenminister am Dienstagabend bei Markus Lanz auffällig oft:
Das hätten die USA nach dem Zweiten Weltkrieg auch getan, unter anderem durch den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation, so Gabriel. Selbst der Ostblock habe bei diesen Spielregeln weitgehend mitgemacht.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende weiter: "Bisher waren wir es gewohnt, dass für die westlichen Demokratien - wir haben das früher 'den Westen' genannt - Amerika die Führung übernommen hat und das auch als ihre Aufgabe ansah."
Ex-Außenminister: Amerika "innerlich überdehnt"
Gabriel merkte an, dass der Westen kein geografischer Begriff gewesen sei, sondern "eine normative Idee der individuellen Freiheit, die jeder Mensch hat, weil er Mensch ist". Er konstatierte: "Das war das, was uns verbunden hat."
Gabriel ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke, die sich für Multilateralismus, offene Gesellschaften und freien Handel zwischen Deutschland, Europa und den USA engagiert.
Er beschrieb einen inneren Konflikt der USA als Weltmacht: "Die Amerikaner selber, weil sie nicht mehr wissen, was sie sind, wollen aus dieser Rolle raus. Sie fühlen sich imperial overstretched – innerlich überdehnt." Und weiter:
Gabriel zufolge wollen sich die USA darauf konzentrieren, dem großen Herausforderer China zu begegnen. "Aber sie ziehen sich aus allen anderen Bereichen zurück und das macht es für uns unbequem, weil wir uns auf einmal selber kümmern müssen: im südlichen Mittelmeerraum, in Nordafrika, im Nahen Osten."
Comeback von Donald Trump?
Dadurch werde deutlich, warum uns die Entwicklung in Amerika so sehr betrifft. Die USA seien immer noch "die größte Supermacht dieser Welt, die mit dem größten politischen, wirtschaftlichen, militärischen, kulturellen Einfluss in der Welt".
Bestrebungen einiger Republikaner zur Änderung des Wahlrechts könnten dazu führen, dass Donald Trump als potentieller Kandidat die nächste Präsidentschaftswahl trotz Stimmenminderheit gewinnt.
Mit Blick darauf zeigte sich Sigmar Gabriel besorgt: "Wenn wir uns nicht mehr sicher sind, ob dieses Land eine Demokratie bleibt, wenn das Land unberechenbar wird, dann ist das Weltpolitik."
Gabriel: Ohne Sheriff kommen die Gangster
Schmunzelnd über seine eigene Metapher verdeutlichte Sigmar Gabriel die Bedeutung der USA für die Weltpolitik: "Bei uns gibt es viele, die sagen: Endlich ist Schluss mit dem Weltpolizisten USA. Aber das ist wie in einem ordentlichen Western: Wenn der Sheriff die Main Street verlässt, kommen die Gangster."
Konkret: "Wenn das Land ausfällt, dann entsteht eben kein Vakuum, sondern in dieses Vakuum treten andere ein. Und das sind Länder, die mit unserer Idee von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit wenig oder gar nichts zu tun haben. Das macht Amerika so wichtig."
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