Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht, wie weit die Überwachungsmaßnahmen des bayerischen Verfassungsschutzes gehen dürfen. Das Urteil könnte über Bayern hinaus wirken.
Was darf der Verfassungsschutz, um den Staat vor Extremismus und Terrorismus zu schützen? Es gebe zahlreiche heimliche Überwachungsmaßnahmen und kaum Kontrollen - zu viele Informationen würden an die Polizei übermittelt werden: So lautet die Beschwerde der drei Männer, die vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind.
Sie sehen sich durch die Maßnahmen des bayerischen Verfassungsschutzes in ihren Grundrechten verletzt.
Wohnungen überwachen, Handys orten
Der Verfassungsschutz in Bayern darf nach bayerischem Recht zum Beispiel Wohnungen akustisch und optisch überwachen, Smartphones orten und diese auch verdeckt - also ohne Wissen des Inhabers - durchsuchen.
Die Aufgaben des Verfassungsschutzes würden sich außerdem mit denen der Polizei überschneiden, beklagte Ulf Buermeyer im Dezember bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe. Er ist Vorsitzender des Vereins "Gesellschaft für Freiheitsrecht". Er hat das Verfahren initiiert und setzt sich mit juristischen Mitteln für die Grundrechte ein. Laut Buermeyer würden die Kompetenzen verschiedener Sicherheitsbehörden verwischen.
Eigentlich gilt das Trennungsprinzip
Zwischen der Polizei und dem Verfassungsschutz gilt eigentlich eine klare Trennung. Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen, sammelt Informationen über sie und wertet sie aus. Die Polizei verhindert konkrete Gefahren und verfolgt Straftaten.
Die Gesetze berechtigen den Verfassungsschutz unter bestimmten Voraussetzungen und zu bestimmten Zwecken, die gesammelten Informationen an die Polizei zu übermitteln. Dabei hat er auch die Grundrechte der Betroffenen zu beachten.
Wo liegt das Problem bei der Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes? Wie er Datenströme im In- und Ausland überwacht - erklärt im Grafikvideo.
Buermeyer meint, dass der Austausch zwischen den beiden Sicherheitsbehörden immer leichter werde, weil die Voraussetzungen sinken würden. Die Kläger sehen die Gefahr, dass die Polizei dadurch an zu viele Informationen gelangt.
Deshalb fordern sie auch eine unabhängige Kontrolle vor der Übermittlung. Außerdem sollten die Maßnahmen aus Sicht der Kläger nachträglich überprüft werden. Denkbar sind hier beispielsweise richterliche Kontrollen.
Betroffener hätte Stelle an Uni fast nicht bekommen
Kerem Schamberger, einer der Kläger, hätte beinahe eine Stelle an der Münchener Universität nicht bekommen. Der Verfassungsschutz hatte der Universität gesammelte Informationen über ihn mitgeteilt.
Er und die anderen Kläger sind Mitglieder der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten". Noch im Jahr 2021 wurde die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet und als "linksextremistisch beeinflusst" eingestuft.
Sein Umfeld habe Angst, mit ihm Kontakt aufzunehmen, erzählt er im Gespräch mit dem ZDF, "weil sie Angst haben, ebenfalls im Visier des Inlandgeheimdienstes zu geraten".
Strengere Regeln wegen Kritik im NSU-Fall
Nach den Morden des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU) und zum Zeitpunkt der Gesetzesreform habe aber Einigkeit bestanden, dass der Verfassungsschutz und die Polizei besser miteinander kommunizieren müssen, verteidigte der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) die Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht.
Der Verfassungsschutz unterliege einer "strengen rechtsstaatlichen Kontrolle", so Hermann. Er sei keine Bedrohung, sondern garantiere vielmehr Freiheit und Sicherheit.
Möglicherweise auch Verfassungsschutz auf Bundesebene betroffen
Die individuelle Freiheit auf der einen Seite und die wehrhafte Demokratie auf der anderen Seite - beides wird das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung gegeneinander abwägen müssen.
Sollte Karlsruhe beschließen, dass Bayern mit seinem Verfassungsschutzgesetz gegen das Grundgesetz verstößt, muss es sein Gesetz überarbeiten.
Außerdem kann die Entscheidung Auswirkung auf Bundesebene haben. "Zum Beispiel sind die bundesgesetzlichen Regelungen zum Durchsuchen von technischen Geräten mit denen aus Bayern vergleichbar", sagt Rechtswissenschaftler Professor Ralf Poscher vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. "Das heißt auch auf Bundesebene müsste nachjustiert werden."
Damit könnte das Urteil weitreichende Folgen haben.
- Verfassungsschutz sammelt Daten Abgeordneter
Der sächsische Verfassungsschutz hat illegal Daten mehrerer Abgeordneter gesammelt. Darunter ist auch der stellvertretende Regierungschef Martin Dulig.