Niedersachsen-Wahl: Renaissance der Volksparteien gestoppt

    Interview

    Landtagswahl in Niedersachsen:"Renaissance der Volksparteien wohl gestoppt"

    10.10.2022 | 10:23
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    Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Wahl in Niedersachsen? Was war entscheidend für den Ausgang? Was sind die Konsequenzen? Politikwissenschaftler Winkelmann analysiert.

    Stephan Weil, amtierender SPD-Landesministerpräsident, Julia Willie Hamburg von den niedersächsischen Grünen und Bernd Althusmann, Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU
    Niedersachsen hat gewählt: Was sagt das Ergebnis aus?
    Quelle: Reuters

    • Die niedersächsische SPD und Ministerpräsident Stephan Weil konnten sich erfolgreich vom Bundestrend entkoppeln.
    • Landespolitische Themen spielten eine eher untergeordnete Rolle.
    • Der Wahlausgang ist keine Abstrafung der Ampel an sich.

    ZDFheute: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Wahl in Niedersachsen?
    Thorsten Winkelmann: Beachtlich ist, dass sich die niedersächsische SPD und Amtsinhaber Stephan Weil erfolgreich vom Bundestrend entkoppeln konnten. Denn die SPD hat natürlich im Vergleich zu 2017 verloren. Blickt man auf Umfragen auf Bundesebene, ist das erzielte Ergebnis aber doch sehr gut. Sicherlich hat der Amtsbonus von Ministerpräsident Stephan Weil dafür eine Rolle gespielt, aber auch der kluge Schachzug, im Wahlkampf prominente Parteigrößen, die im Moment doch in der Kritik stehen, weitestgehend nicht einzuladen.

    Eine weitere Erkenntnis ist, dass der Trend der vorangegangenen Landtagswahlen, nämlich die Renaissance der Volksparteien, wohl gestoppt ist.

    Dr. Thorsten Winkelmann, Universität Erlangen-Nürnberg

    Im Saarland, in Schleswig-Holstein und zuletzt in Nordrhein-Westfalen konnten SPD und CDU deutlich an Stimmen hinzugewinnen, beziehungsweise ihre Ergebnisse halten. Das ist bei dieser Wahl nun anders. Wir erleben wieder eine zunehmende Protesthaltung und Aversion gegenüber der etablierten Politik, gespeist von einer Unzufriedenheit mit bundespolitischen Entwicklungen. Davon zeugen insbesondere die Stimmenzuwächse der AfD.

    ...akademischer Rat auf Lebenszeit am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind unter anderem das politische System der Bundesrepublik, Wahlen und Parteien, Politische Ökonomie sowie Infrastruktur und Infrastrukturpolitik.

    ZDFheute: Großer Wahlgewinner sind neben der AfD aber auch die Grünen. Welche Erklärung gibt es für dieses Wählervotum?
    Winkelmann: Bei den Grünen stellt sich die Frage, von welcher Richtung aus man das Ergebnis betrachtet. Die Wahlumfragen lagen im Hochsommer immerhin noch bei über 20 Prozent. Die Erwartungshaltung war sicherlich größer, als das Votum letztendlich ausgefallen ist. Nichtsdestotrotz ist das Ergebnis sehr beachtlich, angesichts der aktuellen Performance von Grünen-Spitzenpolitikern wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
    ZDFheute: Stephan Weil setzt auf eine rot-grüne Landesregierung. Erwarten Sie dennoch noch einen Koalitionspoker, mit wem der amtierende Ministerpräsident in seine dritte Amtszeit gehen wird?
    Winkelmann: Stephan Weil hat sich ja bereits im Vorfeld der Wahl klar positioniert und die Grünen als seinen Wunschpartner benannt. Letztendlich wird auch entscheidend sein, wie groß die Mehrheit dieser Koalition unterm Strich sein wird. Für die CDU wäre es sicherlich der beste Weg in die Opposition zu gehen, um sich in dieser Rolle personell und inhaltlich zu erneuern und wieder schlagkräftige Politik im Land betreiben zu können.
    ZDFheute: Eine Landtagswahl wird normalerweise durch lokale Themen entschieden. Gilt dies auch für den Urnengang in Niedersachsen oder wurde dieser doch von den Themen dominiert, die derzeit Deutschland beschäftigen?
    Winkelmann: Tatsächlich haben in diesem Wahlkampf klassische landespolitische Themen eine eher untergeordnete Rolle gespielt.

    Interessanterweise hat Bernd Althusmann, Spitzenkandidat der CDU, sogar explizit versucht, bundespolitische Themen in seinen Landtagswahlkampf zu verankern.

    Dr. Thorsten Winkelmann, Universität Erlangen-Nürnberg

    Er hätte aber besser die Wahl als Abstimmung über die bisherige Regierungspolitik der Ampelkoalition in Berlin verkaufen sollen, um erfolgreich zu sein. Das ist ihm jedoch nicht gelungen, womöglich deshalb, weil er als Person viel zu bieder war, um als stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister aus der Regierung heraus viel stärker zu polarisieren.
    ZDFheute: Die Landtagswahl in Niedersachsen wurde auch zur Abstimmung über die Krisenpolitik der Ampel-Regierung auf Bundesebene hochstilisiert. Was bedeutet der Wahlausgang für das politische Berlin?
    Winkelmann: Wenn man Stimmengewinne und -verluste der Ampelparteien zusammenrechnet, sieht man eher Verschiebungen zwischen den einzelnen Parteien, statt eine komplette Abstrafung der Ampel an sich. Die Erfolge der Grünen zeigen ja sehr schön, dass die Wähler durchaus differenzieren. Für die SPD und vor allem für die FDP wird es nun aber zunehmend wichtiger, auf Bundesebene das eigene Profil zu schärfen. Diese Profilbildung kann nur in Abgrenzung zu den anderen funktionieren, was dem Koalitionsfrieden und der Arbeit der Koalition nicht zuträglich sein wird.
    Das Interview führte Michael Kniess

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