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Artillerieschlacht in Ukraine : Kann der Westen genug Munition liefern?

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Der Ukraine-Krieg wird vor allem mit Artillerie ausgetragen. Wer gewinnt, hängt auch davon ab, wer mehr Munition zur Verfügung hat. Da steht Kiew vor besonderen Herausforderungen.

Ukrainische Soldaten feuern eine Haubitze in der Ostukraine ab.
Ukrainische Soldaten feuern eine Haubitze in der Ostukraine ab.
Quelle: Ukrinform/dpa

Im Donbass führt Russland Krieg nach alter sowjetischer Militär-Doktrin. Unter massivem Artillerie-Einsatz rücken Bodentruppen langsam vor; Ortschaft für Ortschaft wird sturmreif geschossen. Die Ukraine hält mit eigenen Geschützen dagegen - der Krieg ist geprägt von Artillerieduellen über große Distanz.

Bei solchen Materialschlachten ist nicht nur die Zahl der verfügbaren schweren Waffen entscheidend, sondern auch der Nachschub an Munition. Er bestimmt, wie lange eine Seite bestehen kann - ob eine Offensive erfolgreich ist oder zusammenbricht.

Westliche Waffen bringen russische Artillerie zum Verstummen

Wie schnell das gehen kann, erlebt Russland seit Ende Juni. Die von den USA an die Ukraine gelieferten mobilen Himars-Raketenwerfer haben eine größere Reichweite und vor allem höhere Präzision als die meisten russischen Systeme. Die Ukraine nutzt sie deshalb gezielt gegen die russische Munitions-Infrastruktur. Etwa 50 Munitionsdepots seien laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow bislang mit Himars zerstört worden.

Das hat einen spürbaren Effekt: Die Zahl der russischen Artillerie-Schläge nimmt laut westlichen Experten ab. Anfang Juli feuerte Russland laut dem britischen Royal United Services Institute (Rusi) 20.000 152mm-Artilleriegranaten pro Tag, die Ukraine rund 6.000. Inzwischen soll die Zahl auf russischer Seite auf etwa 12.000 gefallen sein. Im Mai und Juni starben zwischen 100 und 200 ukrainische Soldaten jeden Tag, nun sei die Zahl auf rund 30 pro Tag gesunken, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj dem "Wall Street Journal" am Freitag.

Ukraine muss Logistik auf neue Munition umstellen

Diese neuen Waffensysteme stärken die Ukraine, bedeuten aber auch eine besondere logistische Herausforderung. Kiew unterhält aktuell eine riesige Bandbreite an verschiedenen Artilleriesystemen aus westlicher und russisch-sowjetischer Produktion. Beide nutzen unterschiedliche Kaliber.

"Da die Ukraine ihre Artillerie derzeit von 122 mm und 152 mm auf das westliche Kaliber 155 mm umstellt, muss eine ganz neue Logistikkette aufgebaut werden", sagt Wolfgang Richter, Oberst a.D. und Militärexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, ZDFheute. Die USA hätten zuletzt immer viel Munition mitgeliefert, so Richter, aber ihre Reserven seien nicht unendlich. "Vor allem wir Europäer haben sehr begrenzte Munitionsreserven."

Unsere Industrie ist nicht auf eine Kriegsproduktion vorbereitet und eine Umstellung geht nicht auf Knopfdruck. Zudem kann ich den politischen Willen, auf Kriegsproduktion umzuschalten, nicht erkennen.
Wolfgang Richter, Stiftung Wissenschaft und Politik

Das führe zu der Situation, dass die Ukraine, die Bundeswehr und andere unterversorgte Nato-Streitkräfte jetzt um begrenzte Produktionskapazitäten ringen. "Auch die Bundeswehr muss voll ausgestattet werden, um ihre Verpflichtungen zur Verteidigung der östlichen Bündnispartner erfüllen zu können. Dazu müssen ihre Munitionsvorräte erheblich aufgestockt werden", erklärt Richter.

Da ist die Politik in einer Konfliktsituation, denn sie muss entscheiden, wen die Industrie vorrangig beliefern soll. Darum bin ich skeptisch, ob die westliche Industrie langfristig große Mengen Munition an die Ukraine liefern kann.
Wolfgang Richter, Stiftung Wissenschaft und Politik

Kann die Ukraine noch selbst Munition produzieren?

Die Frontlinie in der Ukraine zieht sich über mehr als 1.000 Kilometer. Schwere Waffen westlicher Bauart werden also auch künftig nicht flächendeckend verfügbar sein. Deren Bedeutung möchte Richter auch nicht überbetont wissen: "Wir sollten nicht an Wunderwaffen glauben. Einzelne Waffensysteme allein entscheiden nicht das Gefecht, die beste taktische Wirkung wird nur im Verbund erzielt."

Auch künftig wird die Ukraine also auf alte, sowjetische Geschütze setzen müssen. Könnte ihr da bald die Munition ausgehen? "Die ukrainische Rüstungsindustrie war immer dezentral über das Land verteilt. Ich schätze, dass aktuell etwa 30 Prozent der Industrie entweder zerstört oder in den Händen Russlands ist", sagt Richter. In begrenztem Rahmen könne die Ukraine also weiterhin selbst Munition produzieren.

Wer diese Materialschlacht gewinnt, ist aktuell völlig offen.
Wolfgang Richter, Stiftung Wissenschaft und Politik

Doch es gibt noch weitere Optionen: Der "Spiegel" hatte Anfang Juli berichtet, deutsche Rüstungskonzerne könnten eine stillgelegte Fabrik in Rumänien wieder in Betrieb nehmen und dort 152mm-Munition fertigen.

Munitionsbedarf wird wegen Offensive im Süden zunehmen

In der Region Cherson im Süden der Ukraine läuft eine neue Offensive an. Kiew will die von Russland seit Monaten besetzte Großstadt zurückerobern. Der ukrainische Bedarf an Munition dürfte dort deutlich zunehmen. "Diesmal müssen die Ukrainer in die Städte hineinschießen, wenn sich die russische Verteidigung dort verschanzt", beschreibt Richter eine Herausforderung. "Wenn die Ukrainer jedoch größere Räume zurückerobern wollen, müssen sie in den Bewegungskrieg übergehen. Dann wird auch bei den Panzerkräften der Munitionsbedarf zunehmen."

"Infanterie gewinnt Schlachten, Logistik gewinnt Kriege", dieses dem US-General John Pershing zugeschriebene Zitat bleibt auch im 21. Jahrhundert in der Ukraine relevant.

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