Seit Tagen wird in Deutschland diskutiert, ob und welche Waffen der Ukraine zur Verteidigung geliefert werden können. Ein Überblick über die Argumente und ob sie stichhaltig sind.
Die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine bestimmt seit Tagen die politische Debatte in Deutschland. Die CDU greift die Ampel-Koalition scharf an, droht gar mit einer namentlichen Abstimmung im Bundestag. Und auch innerhalb der Regierung gibt es Zwist, auch wenn sich alle bemühen, ihn klein erscheinen zu lassen.
Die Waffenlieferungen spielen eine entscheidende Rolle für die Ukraine bei der Verteidigung gegen Russlands Invasion, darin sind sich die meisten Sicherheitsexperten einig. Viele Argumente in der Diskussion um Waffen haben jedoch mehrere Ebenen, eine faktische und eine politische.
Argument: Wenn Deutschland schwere Waffen liefert, wird es zum Kriegsteilnehmer
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte es im aktuellen "Spiegel" als oberste Priorität bezeichnet, ein Übergreifen des Krieges auf die Nato zu vermeiden. "Es darf keinen Atomkrieg geben", sagte er, und er "tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt."
Völkerrechtlich betrachtet ist Scholz' Befürchtung unbegründet, wie Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München im Podcast "Sicherheitshalber" darlegt:
Im Völkerrecht gelte das Neutralitätsgebot, so Sauer. Wenn zwei Staaten Krieg gegeneinander führen, sollten sich andere Staaten rauszuhalten. Die Ausnahme sei dabei jedoch: Wenn die Aggression sehr eindeutig ist.
Und "es gibt seit Langem kaum einen Krieg, wo die Aggression so eindeutig ist wie im Russland-Ukraine-Krieg", ergänzt der Sicherheitsexperte Carlo Masala, ebenfalls von der Universität der Bundeswehr. Es gebe keine Pflicht, die Ukraine zu unterstützen, aber wenn Staaten es tun, sei es legitim, ohne das Neutralitätsgebot zu verletzen, so Masala. Da die Staaten, die die Waffen lieferten, sie nicht selbst im Einsatz bedienten, sei kein Staat Kriegspartei.
Politische Dimension der Waffenlieferungen
Die Diskussion wird allerdings nicht nur auf Grundlage des Völkerrechts geführt. Schon der Start eines Angriffskrieges ist ein Bruch des Völkerrechts. Es spielt also höchstwahrscheinlich gar keine große Rolle, wie ein Kriegsteilnehmer im Völkerrecht definiert ist, die Debatte dreht sich vielmehr darum, was Russlands Präsident Putin als so große Provokation einschätzt, dass er ein Land, das schwere Waffen liefert, als Kriegsteilnehmer betrachtet - und dann einen Angriff auf das Land befehlen könnte.
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Hätte man die Logik der nuklearen Bedrohung von Anfang an so strickt befolgt, so Sauer, hätte man gar keine Waffen an die Ukraine liefern dürfen. Bisher wurden die Lieferungen aber nicht als Kriegseintritt gewertet auf russischer Seite. Man solle weitere Lieferungen also genau prüfen und ausloten, um sich nicht "wegen imaginierter roter Linien selbst zum Nichtstun zu verdammen".
Argument: Waffenlieferungen verlängern den Krieg und führen zu mehr Toten
Richtig ist, dass Waffenlieferungen den Krieg verlängern. Sie schützen jedoch auch Menschenleben, meint Sicherheitsexperte Carlo Masala. Man habe gesehen, wie das russische Militär vorgeht, wenn es auf keinen Widerstand stößt.
In Mariupol sehe man aktuell etwa die russische Strategie, die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Schwere Waffen würden der Ukraine helfen, sich besser verteidigen zu können.
Argument: Deutschland hat gar keine schweren Waffen zum Liefern
Zu dieser Frage gab es am Freitag ein Briefing im Verteidigungsministerium, erklärt Thomas Wiegold vom Blog "Augen geradeaus!": Die Bundeswehr habe aktuell 376 Marder-Panzer in ihrem Bestand.
Laut dem Verteidigungsministerium sei etwa ein Drittel davon einsetzbar und bei der Truppe: Für Verpflichtungen gegenüber der Nato, für Übungen und Ausbildung. Ein Drittel sei in der planmäßigen Wartung und ein Drittel sei zu Nachrüstung oder als Ersatzteilvorrat bei der Industrie. Kurzfristig – so das Ministerium – könne man von diesem Bestand nichts abgeben.
Nun sei geplant, dass Slowenien in einem "Ringtausch" alte Kampfpanzer vom Typ M-84 an die Ukraine abgibt. Dabei handle es sich um eine Weiterentwicklung des sowjetischen T-72 Panzers, die ukrainische Soldaten bedienen könnten und für die es auch Ersatzteile im Land gebe. Im Gegenzug soll Slowenien in den nächsten Monaten deutsche "Marder" bekommen und eine Ausbildung an den deutschen Panzern. Details müssten dabei jedoch noch geklärt werden.
Andere Länder haben schon schwere Waffen geliefert und weitere Lieferungen angekündigt. Einen Überblick finden Sie hier:
- Was Nato-Staaten in die Ukraine liefern
Deutschland will keine schweren Waffen in die Ukraine liefern. Andere Nato-Staaten kündigen indes an, direkt schwere Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer zu liefern.
Lieferungen von Waffen seien allgemein schwieriger als andere Geschäfte, erklärte der Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bei ZDFheute live: Es gebe bei der Rüstungsindustrie keine Geschäfte wie Amazon, in denen man sich einfach etwas aussuche und direkt geliefert bekomme. Erst recht nicht, wenn es um schwere Waffen gehe. Deutschland liefere aktuell, was möglich sei.
Argument: Die Ausbildung an den deutschen Waffen dauert zu lang
Die Ausbildung an Marder-Panzern könne laut Ministerium bis zu neun Monate dauern. Es sei daher nicht sinnvoll, die modernen Panzer in die Ukraine zu liefern. Man müsse jedoch auch bedenken, was in drei Wochen in der Ukraine gebraucht werde und das jetzt schon anschieben, so Christian Mölling. Ein Krieg wie dieser gehe mit sehr viel Materialverschleiß einher. Wenn irgendwann kein sowjetisches Material mehr übrig sei, müsse die Ukraine zwangsläufig auf westlichen Waffen ausgebildet werden, sonst könne man nicht mehr helfen.
Die USA verfolgen in diesem Punkt einen ähnlichen Ansatz. Sie liefern bereits jetzt Artillerie-Geschütze an die Ukraine. Die Ausbildung für die ukrainischen Soldaten findet in Bayern statt. Das Training sei auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr geplant, sagte Wiegold. Auch die Niederlande gibt Panzerhaubitzen ab, die nicht im aktiven Bestand sind. Auch bei dieser Lieferung soll die Ausbildung in Deutschland stattfinden.
Ein Problem der Kommunikation
Sicherheitsexperte Mölling sieht in der deutschen Diskussion vor allem ein Problem der Kommunikation: Deutschland tue durchaus viel, um der Ukraine zu helfen, kommuniziere das aber schlecht mit der Bevölkerung.
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Ein Beispiel dafür ist laut Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations der von Kanzler Scholz mehrfach abgelehnte deutsche "Alleingang", wenn es darum geht, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Deutschland mache - wenn überhaupt - einen Alleingang, in dem es Lieferungen durch lange Diskussionen hinauszögere, während andere schon lieferten, so Franke im "Sicherheitshalber"-Podcast.
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Liveblog- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.