NRW hat gewählt. Die CDU hat gewonnen, dennoch wurde die schwarz-gelbe Regierung abgewählt. Was war entscheidend? Was sind die Konsequenzen? Politik-Experte Kersting im Gespräch
Die CDU geht als stärkste Partei bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen in mögliche Regierungsverhandlungen, während die SPD umfangreiche Stimmenverluste hinnehmen muss. Die eigentlichen Sieger sind jedoch die Grünen, die einen satten Zugewinn verbuchen können. Was bedeutet das für NRW - und was für den Bund? Politikprofessor Norbert Kersting von der Uni Münster analysiert im Gespräch mit ZDFheute den Wahlausgang.
ZDFheute: Die Würfel in Nordrhein-Westfalen sind gefallen. Die CDU hat die Wahl gewonnen, die schwarz-gelbe Regierung wurde dennoch abgewählt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland?
Norbert Kersting: Zum einen lässt sich festhalten, dass der eigentliche Wahlsieger die Grünen sind. Während alle anderen Parteien Probleme hatten, ihre Themen zu positionieren, haben die Grünen den Nerv der Zeit getroffen, etwa mit dem Thema Ausbau Erneuerbarer Energien. Natürlich haben sie dabei auch stark von den Auswirkungen und Folgen des Ukraine-Kriegs profitiert.
Außerdem sieht man den deutlichen Zusammenhang zwischen Landtags- und Bundestagswahlen. In Nordrhein-Westfalen wurden, mit Ausnahme der Grünen, auch stellvertretend die Regierungsparteien in Berlin mit abgestraft.
Nicht zu vergessen: Die CDU hat mit Hendrik Wüst nach der Bundestagswahlschlappe schnell reagiert und auf den richtigen Kandidaten gesetzt.
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ZDFheute: Am Ende des Wahlkampfs steht eine historische Wahlniederlage für die SPD. An welchen Faktoren machen Sie das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten fest?
Kersting: Es fehlen der SPD die Themen, die sie für sich besetzen kann. Ihr eigentliches Gewinnerthema, der soziale Zusammenhalt, steht im Moment einfach nicht wirklich im Fokus. Zudem haben die Sozialdemokraten mit Thomas Kutschaty auf einen Kandidaten gesetzt, den vor wenigen Monaten noch so gut wie niemand kannte.
Nach der Landtagswahl in NRW erwartet SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, dass die "Mehrheitsfindung komplizierter wird" und wirbt für mehr Fokus auf landespolitische Fragenstellungen.
Erschwerend hinzu kommt, dass zur Wahl vor allem die Älteren gegangen sind und gerade bei dieser Generation die SPD nicht wirklich gut mobilisieren konnte.
ZDFheute: Ukraine-Krieg, gestiegene Energie- und Spritpreise oder lokale Themen: Was war wahlentscheidend?
Kersting: Gerade in einer Situation, in der es um Krieg und Frieden geht, ist es ganz schwierig Landesthemen medial zu platzieren und mit diesen zu punkten. Deshalb haben, anders als bei der letzten Wahl in Nordrhein-Westfalen, Landesthemen diesmal so gut wie keine Rolle gespielt.
Trotzdem hat man auch bei dieser Wahl gesehen, dass bei Landtagswahlen Landesthemen per se sehr wichtig sind. Denn das desaströse Abschneiden der Liberalen hat insbesondere auch etwas damit zu tun, dass man abgestraft wurde für die FDP-Schulministerin, die nicht zuletzt während der Corona-Pandemie mit ihrer Politik Lehrer und Schüler gegen sich aufgebracht hat.
Die Landtagswahl in NRW sei von "landespolitischen Schwerpunkten" geprägt gewesen, sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und dementiert bundespolitisches Gewicht des schlechten Ergebnisses.
ZDFheute: In welcher möglichen Koalition sehen Sie die kommende Regierung in Nordrhein-Westfalen?
Kersting: Bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen sind die Grünen die Königsmacher, an denen wohl kein Weg vorbeiführen wird. Zunächst wird die CDU sicherlich mit ihnen verhandeln. Wenn das scheitern sollte, wären durchaus auch Gespräche zu einer komplizierteren Dreierkoalition zwischen SPD, Grünen und FDP zur Bildung einer Ampel möglich. Es wäre also zumindest denkbar, dass die Sozialdemokraten der CDU die Regierung noch streitig machen.
Schwierig dabei ist allerdings, dass FDP und Grüne programmatisch sehr weit auseinanderliegen. Für eine Erweiterung der bestehenden Regierung in Richtung Jamaika-Koalition sehe ich allein deshalb keine Chance mehr, weil die FDP sehr frustriert vom Wahlkampf ist, den die CDU gegen sie geführt hat.
Viele der Errungenschaften, gerade im Wirtschaftsbereich, die die FDP für sich reklamiert, hat sich die CDU selbst ans Revers geheftet. Eine Koalition aus CDU und SPD ist in Nordrhein-Westfalen nicht wirklich realistisch. Das wäre, wenn überhaupt, nur die letzte Option, wenn alle anderen Gespräche scheitern würden.
ZDFheute: Welchen Lehren kann das politische Berlin aus der Wahl in Nordrhein-Westfalen ziehen?
Kersting: Grundsätzlich zeigt die äußerst geringe Wahlbeteiligung, dass man viel stärker auch in der jüngeren Bevölkerung mobilisieren muss, um seine Wähler zu erreichen. Außerdem wird das starke Umdenken der Gesellschaft in puncto Mobilität, Energieversorgung und Verkehr auch in den Parteizentralen zunehmend eine große Rolle spielen.
Das Interview führte Michael Kniess.