Die Ukraine kämpft um das Überleben ihres Staates. Doch je stärker der Widerstand, desto brutaler das Vorgehen Russlands. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
Russland hat sein Ziel einer möglichst schnellen Einnahme von Kiew und Kontrolle der Ukraine verfehlt - die ukrainischen Truppen leisten mehr Widerstand als erwartet. Die Folge: ein Dilemma. Je stärker der ukrainische Widerstand, umso brutaler das Vorgehen Russlands. Könnte ein Ausweg aus dieser Situation gelingen oder droht eine weitere Eskalation?
"Was wir in den letzten Tagen gesehen haben, ist, dass die Ukraine klar zu ihrem Ziel steht und gesagt hat, sie werde nicht kapitulieren", erklärt die Sicherheits- und Verteidigungsexpertin Claudia Major. Das Land werde von seinem Willen, als freier, souveräner und unabhängiger Staat erhalten zu bleiben, nicht abrücken, so die Expertin.
[Lesen Sie hier eine aktuelle Militäranalyse zum Krieg in der Ukraine.]
Auch Russland hält an Zielen in der Ukraine fest
Doch auch Russland beharre auf seinem Ziel, die Ukraine zu kontrollieren und ihr die Eigenidentität abzuerkennen. Das bedeute also, es gebe zwei Positionen, die sich gegenseitig ausschließen.
Hinzu kommt: "Die Ukraine kämpft um das Überleben ihres Staates". Dort Bewegung zu sehen, sei Majors Einschätzung zufolge schwierig.
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Wie geht es also weiter im Russland-Ukraine-Krieg?
Seit Beginn des Krieges Ende Februar ließen sich grob zwei Phasen unterscheiden, erklärt die Expertin. Russland habe zunächst gehofft, mit einem schnellen Vorstoß Kiew einzunehmen und die Ukraine zu kontrollieren.
Durch den ukrainischen Widerstand sei das jedoch verhindert worden. Major fügt hinzu: "Der russische Vormarsch hat unter technischen, logistischen und militärischen Problemen gelitten."
Durch das Nicht-Erreichen seiner Ziele sei das Vorgehen Russlands in einer zweiten Phase schließlich noch brutaler und rücksichtsloser geworden: die Belagerung von Städten, das Angreifen humanitärer Korridore. Hinzu kam die Warnung an die westlichen Staaten. Mit einem "nuklearen Säbelrasseln" habe Russland ihnen klar signalisiert, sich von diesem Konflikt fernzuhalten, erklärt Major.
Jetzt stelle sich also Frage, ob eine "Art dritte Phase" eintreten werde, sagt sie. "Wo Russland aus der Frustration heraus, dass es die Ziele immer noch nicht erreicht hat, sozusagen nochmal rücksichtsloser wird." Beispielsweise, indem möglicherweise auch die Westukraine mit in den Blick genommen und weitere Städte belagert würden. Und auch, indem zunehmend die industrielle und technische Infrastruktur bewusst zerstört werde, erklärt die Expertin.
Nach militärischem folgt politischer Konflikt
Gleichzeitig fügt sie hinzu, man müsse hinsichtlich der Frage, wie es weitergehe, auch zwischen zwei Ebenen unterscheiden: dem militärischen und dem politischen Konflikt. Der Krieg könne mit Waffenruhen und Feuerpausen beendet oder zumindest gestoppt werden, sagt die Expertin. Dann rücke aber die politische Frage in den Vordergrund: "Was für eine Ukraine wird es in Zukunft geben?"
Zahlreiche Vorschläge über mögliche Friedensabkommen, die derzeit zirkulierten, würden schlichtweg bedeuten, dass es die Ukraine in der aktuellen Form nicht mehr gäbe. Deshalb seien jene Forderungen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, der Expertin zufolge zwar richtig und nachvollziehbar - doch sie würden momentan eher zur Folge haben, dass "russische Gewinne der letzten Wochen konsolidiert werden." Und das sei aus ukrainischer Sicht inakzeptabel, fügt sie hinzu.
Deshalb macht sie deutlich: Es stehe Externen nicht zu, beispielsweise Vorschläge über Teilungsszenarien oder Gebietsabtritte zu machen. Sie würden Russland in die Hände spielen - und die Ukraine in ihrer aktuellen Form opfern.
Während die Angriffe auf die Ukraine weitergehen, wird wieder über eine Waffenruhe verhandelt.
Doch wie lange kann die Ukraine den Widerstand halten?
Die Frage der Durchhaltefähigkeit - militärisch, politisch und wirtschaftlich - stelle sich sowohl für die Ukraine als auch für Russland, sagt Major. Allerdings erhalte die Ukraine große Unterstützung durch die westlichen Staaten - und Russland habe nicht nur eines der härtesten Sanktionspakete, sondern sei zunehmend auch international wirtschaftlich und politisch isoliert.
Gleichzeitig macht die Expertin deutlich: Auch westliche Staaten sind von dieser Frage betroffen.
In den nächsten Jahren sei mit zahlreichen Konsequenzen zu rechnen, etwa einer hohen Zahl an Geflüchteten, Binnenflüchtlingen und auch der Verlust der Ukraine als Weizenexporteur.
"Das heißt, wir müssen uns von der Idee einer schnellen, einfachen, alle zufriedenstellenden Lösung, verabschieden. Das wird ein sehr, sehr langer, schwieriger, fragiler und wahrscheinlich auch sehr teurer Aushandlungsprozess werden."
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