Stolz, mutig, mit ungebrochenem Willen wehren sich junge Russen gegen den Krieg, gegen die Diktatur im eigenen Land - und riskieren dabei ihre Freiheit und ihr Leben.
Stolz, mutig, mit ungebrochenem Willen wehren sich junge Russ*innen gegen den Krieg, gegen die Diktatur im eigenen Land – und riskieren dabei ihre Freiheit und ihr Leben.
Die Antikriegsdemonstrationen haben weitestgehend aufgehört in Russland. Putins Regime versucht, Proteste schon im Keim zu ersticken. Mit Repression und Aggression. Seit Kriegsbeginn gab es viele Verhaftungen und Strafverfahren. Und doch gibt es Widerstand in Russland gegen das, was sie dort eine militärische Sonderoperation nennen.
Journalisten im Visier der Polizei
Andrey Okun ist Journalist. Vor dem Krieg hat er für "Echo Moskau" gearbeitet, bis der Sender geschlossen wurde: Zu kritisch für das Regime. Auf einer der letzten Antikriegsdemonstrationen in St. Petersburg wird er sofort verhaftet. Ohne etwas geschrieben oder fotografiert zu haben. Der Grund ist wahrscheinlich ein Video, das er einige Zeit zuvor gemacht hat.
Auf dem Video ist zu sehen, wie die Polizei bei einer Demo mit einer Studentin zusammenstößt. Die junge Studentin stürzt und verliert das Bewusstsein. Die Polizei nimmt die regungslose, junge Frau mit. Andrey weiß nicht, wie es ihr heute geht, sein Video ging viral.
Auch Einzelmahnwachen sind gefährlich
Allein in St. Petersburg gab es bei der letzten großen Protestaktion 750 Festnahmen. Ab Februar wurden mehr als 4.800 Protokolle durch die Polizei gegen Demo-Teilnehmende ausgestellt, viele Verfahren sind noch anhängig. Friedensdemos, so sagt Andrey, seien selbst als Einzelaktionen nicht mehr möglich.
"Einzelmahnwachen in Russland - das ist ein Prozess mit einem zu 100 Prozent voraussagbarem Ausgang. Du kommst, holst ein Plakat hervor. Man nimmt dich fest und stellt dir eine Strafe aus oder du gehst in Ordnungshaft von fünf bis 25 Tage. Unabhängig davon, was auf dem Plakat steht. Die Gerichte in Russland entscheiden jetzt, dass es unwichtig ist, was auf einem Plakat geschrieben steht. Das Wichtigste ist, dass du dieses Plakat hast."
Andrey will sich trotzdem den Mund nicht verbieten lassen und schreibt auf einem eigenen Telegramkanal, der seit Beginn des Krieges schon über 16.000 Follower hat. Seine Heimat zu verlassen, kommt für ihn nicht in Frage:
Katz- und Maus-Spiel mit der russischen Polizei
Auch Nika will weiter als Journalistin arbeiten. Eigentlich studiert sie Biologie. Die Uni hat ihr schon mit Exmatrikulation gedroht. Für viele junge Demonstrant*innen gab es "erzieherische Gespräche" an der Petersburger Uni, bisher blieb es allerdings dabei.
Nika kennt das Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei nur zu gut. Bei einer Militärparade ist sie ohne Akkreditierung auf der Straße unterwegs, um Interviews zu machen. Die Nacht davor verbringt sie extra nicht zu Hause, schläft woanders, setzt sich auf der Demo eine Kapuze auf und bedeckt ihre Haare. Die Polizei, so sagt sie, kennt sie schon und begleitet sie manchmal mit den Worten "Oh, ein bekanntes Gesicht" direkt zum Gefangenentransport.
Diktatur schafft Denunzianten
Die Regierung nutzt immer perfidere Maßnahmen, um die Bürger auf Linie zu halten. Andrey Okun erzählt: "Die Partei 'Einiges Russland' hat spezielle Telegram-Bots eingerichtet, wohin du schreiben kannst. Damit kann man Leute denunzieren. Du gehst einfach auf Telegram, wählst einen Bot aus und schreibst: 'Ja, mir scheint, dass da irgendwer die Herrschenden Russlands diskreditiert.'
Und du musst dann Fotos anhängen. Du kannst zum Beispiel das Foto eines Mannes schicken, der in blau-gelben Sportschuhen herumläuft. Und dem schreibt man eine Strafe über 10.000 Rubel aus. Das ist ein realer Fall, das hat es in Moskau gegeben, als ein Mann in blau-gelben Sportschuhen herumgelaufen ist. Wobei er sie nicht so eingefärbt hatte, sondern ein solches Modell getragen hat. Und ihm stellte man eine Strafe aus."
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Kleine, feine Nadelstiche gegen das Regime
Es sind nicht mehr die großen Protestkundgebungen in Russland, sondern einzelne kleine Aktionen, Journalist*innen, Student*innen, die gegen den Krieg, gegen das Regime Widerstand leisten. Auf Telegram-Kanälen oder mit Botschaften auf Häuserwänden, Asphaltstraßen oder Rubelscheinen. Da steht dann "Kein Krieg" oder "Wir wollen Frieden" - für jeden lesbar. Oft sind die Behörden nicht schnell genug, die Graffitis von Straßen oder Mauern zu entfernen. Widerstand in Russland ist gefährlich, aber er ist da.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.