ZDF-Doku "Teuerland": Das Wohlstandsversprechen in der Krise

    ZDFzeit-Doku "Teuerland":Das Wohlstandsversprechen in der Krise

    Andrea Maurer
    von Andrea Maurer
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    Der Kanzler verspricht weiter Wohlstand, der Vizkanzler spricht von Zumutungen, der Finanzminister erklärt "die Ära des Verteilens" für beendet. Welche Botschaften hat die Ampel?

    ZDFzeit:  Teuerland
    Das Wohlstandsversprechen ist Teil der deutschen Identität, Fundament der deutschen Nachkriegsdemokratie. Es stellt sich die Frage: Ist der "Wohlstand für alle" nur noch Illusion?13.12.2022 | 43:54 min
    Wohlstandsverlust - das ist eine Angst, die viele Menschen in Deutschland umtreibt. 43 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, wie eine Umfrage zeigt, die die Forschungsgruppe Wahlen für die Dokumentation "Teuerland - Abschied vom deutschen Wohlstand?" durchgeführt hat.
    Die Stimmung zwingt die Regierung zum Handeln. Als wir Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Jens Lindner (FDP) zum Interview treffen, hat jeder sehr unterschiedliche Botschaften an das Land. 

    Scholz über Wirtschaftswachstum: "Ich bekenne mich"

    Der Kanzler hat sich für "Zuversicht" entschieden, wie er sagt. Im Interview leistet er fast einen Schwur: "Ich bekenne mich. Ich werde alles dafür tun, dass unsere Volkswirtschaft weiter wächst. Ich halte Wirtschaftswachstum für unverzichtbar, um unseren Wohlstand zu sichern".
    Der Soziologe Heinz Bude nennt das auch "eine Art Befriedungspolitik". Denn: Je größer die Verunsicherung wird, desto größer werden womöglich auch Unmut und Wut. Es geht also auch darum, den Eindruck zu erwecken, dass die Lage im Griff ist und alles immer so weitergehen kann wie bisher: Wirtschaft - Wohlstand - Wachstum.
    Verzicht oder Zumutung - diese Worte nimmt der Kanzler nicht in den Mund. Er macht lieber große Versprechen: "You’ll never walk alone" - und untermauert seine Botschaft mit dem 200 Milliarden-"Doppelwumms". Das klingt alles imposant, eine zukunftsfeste Strategie ist es noch nicht.   

    Habeck: "Dieses Land wird Zumutungen tragen müssen"

    Eine zukunftsfeste Strategie aber braucht das Land in der Umbruchphase, in der wir gerade leben. Die deutsche Industrie muss innerhalb kürzester Zeit umgebaut werden. Große Teile unseres Wohlstandsmodells funktionieren nicht mehr: billige Energie und stabile Preise.
    Vizekanzler Habeck versucht es mit einer anderen Botschaft als der Kanzler. Im Interview sagt er:

    Dieses Land wird Zumutungen tragen müssen.

    Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister

    Die krisenhafte Lage, in der die Regierung handeln muss, beschreibt er so: "Man muss jetzt die Bereitschaft haben, Entscheidungen zu treffen, auch wenn man denkt: Eigentlich müssten wir noch mal eine Testphase durchlaufen, aber die Testphase ist die Wirklichkeit im Moment." In Momenten, wo Habeck Fehler unterlaufen - wie etwa bei der gescheiterten Gasumlage -, bedeutet seine Botschaft der fehlenden Gewissheiten und Testphasen aber auch größere Verunsicherung für die Menschen im Land.

    Lindner: "Ich bin Milliarden Mal über meinen Schatten gesprungen"

    Auch für Finanzminister Christian Lindner geht mit der Krise eine Ära zu Ende, wie er sagt, nämlich "die Ära des Verteilens des einmal erwirtschafteten Wohlstands". Damit ist wohl auch der größte sozialpolitische Unterschied in dieser Regierung in Zeiten des Wohlstandsverlustes benannt: die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. 
    74 Prozent der Befragten in unserer Umfrage sind dafür, dass Vermögende mehr zahlen. Auch der sozialdemokratische Kanzler hält mehr Verteilungsgerechtigkeit für eine gute Idee: "Wir finden, dass diejenigen, die sehr hohe Einkommen haben, die ein paar 100.000 Euro verdienen, sehr wohl auch einen größeren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten können."
    Allein: Gegen die FDP kann er diese Idee offenbar nicht durchsetzen. Oder wie Olaf Scholz es formuliert: "In dieser Frage hat die Koalition sich entschieden, dass sie das nicht gemeinsam verfolgt". Lindner jedenfalls ist der Ansicht, dass er nun schon genug Kredite auf den Weg gebracht hat:

    Ich bin Milliarden Mal über meinen Schatten gesprungen in der Finanzpolitik.

    Christian Lindner, Finanzminister

    Und weiter: "Wir verlieren gerade in Milliarden-Größenordnung jeden Tag Wohlstand. Und die Antwort darauf kann nicht sein Schulden oder Steuererhöhung, sondern wir brauchen in Deutschland wieder eine wirtschaftsfreundliche Politik."

    Die ZDFzeit-Dokumentation "Teuerland - Abschied vom deutschen Wohlstand?" von Andrea Maurer, Nico Schmolke und Steffen Haug können Sie am 15. November 2022 um 20:15 Uhr im ZDF sehen oder jederzeit in der ZDF-Mediathek.

    Weitere Entlastungen - Ja oder Nein?

    Es werden nicht die letzten Meinungsverschiedenheiten im Verständnis von Wohlstandssicherung und staatlichem Handeln gewesen sein, die die Krise in der Regierung offenlegt.
    Fragt man den Vizekanzler, wie es jetzt nach den 200 Milliarden weitergeht, sagt der: "Es war sicherlich allein wegen des schieren Volumens ein wuchtiger Moment, aber es wird nicht der letzte wuchtige gewesen sein."
    Also: Ja, weitere Entlastungen werden wohl kommen. Fragt man den Finanzminister, ist die Antwort eine andere: "Wir kommen auch an die Grenzen der fiskalischen Möglichkeiten unseres Staates." Also: Nein, weitere Entlastungen wird es wohl nicht geben.

    Offene Flanken für die Opposition

    Es geht in diesen Fragen um grundsätzliche ideologische Unterschiede - genauso wie im Streit um die Atomkraft, bei dem Lindner und Habeck unversöhnlich waren, bis der Kanzler ein Machtwort gesprochen hat.
    Jeder Streit in der Regierung ist eine offene Flanke für die Opposition. Auch den Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) haben wir für die Doku getroffen. Er formuliert es so: Nach der Zeitenwende-Rede von Scholz habe er die die Hoffnung gehabt, dass der Kanzler "das historische Fenster für eine Neupositionierung der Bundesrepublik Deutschland" öffnet - aber: "Diese Hoffnung ist für mich nicht erfüllt worden."
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