Heute vor drei Jahren wurde Wolodymyr Selenskyj Präsident der Ukraine. Wer genau ist dieser Mann, der heute sein Land im Krieg verteidigt?
Am 20. Mai 2019 wird der Komiker und Schauspieler Präsident der Ukraine. Eines seiner frühen Wahlversprechen: Den Krieg im Donbass beenden. Dann kam der Überfall durch Russland.
In der Serie "Diener des Volkes" spielt Wolodymyr Selenskyj einen Lehrer, der plötzlich Präsident wird. Vier Jahre später wird der Komiker und Schauspieler mit einer überwältigen Mehrheit von 73 Prozent tatsächlich zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Trotz der Bedenken einiger Expert*innen angesichts seiner fehlenden politischen Erfahrung schafft er es, als radikale Alternative die Bevölkerung von sich zu überzeugen.
Anders als die anderen
Ehemalige Grünen-Politikerin und Mitgründerin des Zentrums Liberale Moderne, Marieluise Beck, beschrieb Selenskyj als "Populist neuen Typs - er trat nicht auf, um zu spalten, sondern um zu versöhnen." Damit weicht er von der kriegerischeren Rhetorik des Ex-Präsidenten Poroschenkos ab und spricht stattdessen das ganze Land an.
Die Bevölkerung erhofft sich Veränderungen, für die sie in zwei Revolutionen protestiert haben. Er verspricht Frieden im Donbass, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung und das Ende der Korruption. Zudem schafft er es, über soziale Medien eine Nähe zur Bevölkerung herzustellen.
Hoffnungsträger
Nach seinem Sieg holt seine Partei "Diener des Volkes" im Sommer 2019 erstmals in der ukrainischen Geschichte die absolute Mehrheit im Parlament. Bereits in den ersten Monaten erlässt er mehrere Gesetzesvorhaben zur Korruptionsbekämpfung. Das Bruttoinlandsprodukt wächst um 3,5 Prozent und Selenskyj verhandelt einen Gefangenenaustausch mit Russland. Der Teil der Bevölkerung, der die Ukraine auf dem richtigen Weg sieht, verdoppelt sich nach seinem Amtsantritt.
In der Ukraine tobt ein Krieg, der die Weltordnung verändert. Zum Gesicht des Widerstands gegen die russische Aggression ist Wolodymyr Selenskyj geworden.
Realitätscheck
Aufgrund der teils unrealistischen Wahlversprechen, gepaart mit überhöhten Erwartungen, folgt jedoch bald Ernüchterung. Die Corona-Pandemie belastet neben dem Gesundheitssystem auch die Wirtschaft des Landes. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung berichtet von einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation.
Viele sehen die Schuld in der Inkompetenz der Politiker*innen, die Selenskyj in die Regierung gebracht hat. Auch an seinen Gesetzesvorhaben zur De-Oligarisierung wird Kritik laut: Die wirklich benötigte Veränderung würden sie nicht bringen.
Ukraines Präsident im ersten Krieg in Europa unter den Bedingungen einer globalen Social-Media-Öffentlichkeit.
Machtkonzentration
Andere sehen das Problem nicht in der Inkompetenz, sondern werfen Selenskyj Machtmissbrauch vor. Zahlreiche Entlassungen in seinem Kabinett und deren Neubesetzungen durch Personen mit fragwürdigen Verbindungen erwecken den Anschein, dass Selenskyj sich mit "den alten Gesichtern der Ukraine" umgibt, so der freie Journalist Mark Temnycky.
Besonders die Abwahl des Parlamentssprechers, der zunehmend Kritik an Selenskyj übte, sorgen für einen Vertrauensverlust. Wenig später wird sein politischer Rivale Poroschenko wegen Hochverrats angeklagt. Vorwürfe werden laut, dass die prozessführenden Behörden nicht unabhängig und der Prozess somit undemokratisch sei.
Selenskyjs Zustimmungsraten fallen im Januar 2021 und 2022 auf unter 30 Prozent, die Bevölkerung sieht zunehmend pessimistisch auf die Entwicklung des Landes.
- Wolodymyr Selenskyj
Der frühere Komiker Wolodymyr Selenskyj ist seit 2019 ukrainischer Präsident. Seit Ende Februar 2022 wird die Ukraine von Russland militärisch angegriffen. A...
Einer wie die anderen
Im September 2021 werden in den Pandora Papers Offshore-Vermögen mit ihm in Verbindung gebracht. Zwar waren diese Geschäfte nicht illegal, doch stehen sie im starken Kontrast zu seiner Rhetorik der De-Oligarchisierung und Anti-Korruptionskampagne.
Die zunehmende Stärkung seiner Macht, das teils harte Vorgehen gegen Medien und die zahlreichen Entlassungen verstärken den Eindruck, es gebe "kaum einen Unterschied [...] zwischen den Regimes Selenskyjs und Poroschenkos", so die freie Journalistin Oksana Grytsenko. Die Ungleichverteilung zwischen den Reichen und Mächtigen im Land gegenüber dem Rest der Bevölkerung bleibt bestehen.
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Beliebter als die Vorgänger
Trotzdem bleibt Selenskyj im Vergleich zu vorherigen Präsidenten beliebt. Wenn auch nicht alle, so hielt er immerhin einige Wahlversprechen. Dazu zählt die Aufhebung der vollständigen Immunität von Abgeordneten, die es einige Oligarchen zuvor ermöglichte als Abgeordnete der Strafverfolgung zu entgehen. Außerdem treibt er die Digitalisierung voran: Bürokratische Abläufe können nun online erledigt werden. Auch die Verbesserung der Infrastruktur kommt gut an.
Die Ukraine vereinigt
Am 24. Februar 2022 greift Russland die Ukraine an- und Selenskyj bleibt in Kiew. Täglich sendet er der Bevölkerung Videobotschaften, die Hoffnung und Mut geben sollen, spricht weltweit vor Parlamenten und verdient sich somit den Respekt über die Landesgrenzen hinaus.
In den USA ist er mit 72 Prozent der beliebteste Politiker, in der Ukraine vertrauen ihm über 90 Prozent. Auch frühere politische Gegner wie Poroschenko stehen hinter ihm.
Die Ukraine ist vereinigt wie nie zuvor und das ist zu einem großen Teil ihrem Präsidenten Selenskyj zu verdanken, so Seniorberater des Kennan-Instituts, Mikhail Minakow. Er wird als einer der ungewöhnlichsten Präsidenten in die Geschichte eingehen - der frühere Komiker, der nun sein Land gegen Russland vereint.
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