Seltene Erkrankungen: Die Suche nach der richtigen Diagnose

    Kaum Forschung, wenig Therapien:Seltene Erkrankungen: Die Waisen der Medizin

    von Andrea Schuler
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    Kennen Sie das Pitt-Hopkins- oder Goldenhar-Syndrom? Bei seltenen Erkrankungen sind sogar Ärzte oft ahnungslos. Diagnose und Therapie werden für Betroffene zur Herausforderung.

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    Menschen mit seltenen Erkrankungen fallen durch die Maschen des Gesundheitssystems. Sie haben Symptome, die in kein bekanntes Spektrum passen und deren Ursache trotz zahlreicher Tests oft jahrelang nicht gefunden wird. Hinzu kommt: Gibt es endlich eine Diagnose, fehlen meist spezifische Therapien.

    Genmutation ist meist Ursache

    Seltene Erkrankungen bilden eine vielfältige Gruppe von unterschiedlichen, oft sehr komplexen Krankheitsbildern. In etwa 80 Prozent der Fälle ist die Ursache genetisch bedingt. Die ursächliche Genveränderung kann vererbt worden sein oder ist als Spontanmutation neu aufgetreten, erklärt Christiane Zweier, Professorin für Humangenetik an der Universitätsklinik Bern in der Schweiz.

    Solche Neumutationen findet man zum Beispiel häufig bei Entwicklungsstörungen.

    Prof. Dr. Christiane Zweier, Humangenetikerin

    Seltene Erkrankungen haben vieles gemeinsam: Die Mehrzahl von ihnen verläuft chronisch. Einzelne Krankheiten können zu Invalidität und einer verkürzten Lebensdauer führen. Erste Symptome treten häufig schon kurz nach der Geburt auf oder zeigen sich bereits im Kindesalter.

    Derzeit werden ungefähr 8.000 Erkrankungen als selten eingestuft. Eine Erkrankung gilt als selten, wenn unter 10.000 Menschen höchstens fünf Betroffene registriert sind. Beim Pitt Hopkins Syndrom beispielsweise sind das im deutschsprachigen Raum, also Österreich und Schweiz mitgerechnet, nur etwa 180 Personen.

    Laut Schätzungen sind etwa vier Millionen Menschen in Deutschland von einer seltenen Erkrankung betroffen. In der Europäischen Union schätzt man die Zahl auf 30 Millionen. In ihrer Gesamtheit gesehen bilden die mitunter sehr wenigen Betroffenen einzelner seltener Krankheiten also eine große Gruppe.

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    Oft fehlt jahrelang eine Diagnose

    Die meisten seltenen Erkrankungen sind nicht heilbar. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Diagnose, um eine gezielte Behandlung der Symptome zu ermöglichen.

    Ohne Diagnose kann im weiteren Verlauf möglichen Komplikationen und Folgeerscheinungen nicht vorgebeugt werden.

    Prof. Dr. Christiane Zweier, Humangenetikerin

    Weil es nur wenige Betroffene gibt, stehen seltene Erkrankungen nicht im Fokus der Wissenschaft. Sie gelten als Waisen der Medizin. Patienten haben meist eine jahrelange Odyssee hinter sich, bis ihre - manchmal auch lebensbedrohlichen - Symptome richtig eingeordnet werden.

    Betroffene und Forschung
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    Wenig Wissen zu seltenen Erkrankungen

    Eine seltene Erkrankung zu erkennen ist schwer. Zum einen sind viele von ihnen kaum oder gar nicht bekannt, zum anderen sind oft mehrere Organsysteme betroffen, sodass sich Symptome nicht eindeutig zuordnen lassen. Ärzte leisten dann nicht selten eine wahre Detektiv- oder Puzzlearbeit.
    In dieser Zeit erleben Betroffene und Angehörige großes Leid. Glück hat, wer über eine Sprechstunde für Humangenetik oder andere Fachdisziplinen den Weg zu einer genetischen Analyse und einer Diagnose findet.

    Je nach Krankheit können wir inzwischen 30 bis 50 Prozent der Fälle aufklären.

    Prof. Dr. Christiane Zweier, Humangenetikerin

    Das sei ein großer Fortschritt. Noch vor fünfzehn Jahren waren es nur zehn bis 15 Prozent oder sogar weniger, so die Expertin. Allerdings bietet die geringe Patientenzahl wenig Anreize für die Forschung, etwa von speziellen Medikamenten.

    Eine im Jahr 2000 gestartete EU-Verordnung zeigt langsam erste Erfolge: Sie sollte die Entwicklung von Medikamenten fördern, von denen nur wenige Patienten profitieren. Solche Medikamente bezeichnet man als Orphan Drugs.

    Wird ein Medikament entwickelt und als Orphan Drug anerkannt, gibt es für den Hersteller Zugeständnisse, beispielsweise eine beschleunigte Bearbeitung des Zulassungsantrages und eine zehnjährige Marktexklusivität gegenüber ähnlichen Substanzen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erkrankung lebensbedrohlich ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht.

    Dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen zufolge waren rund ein Drittel der Medikamente, die in den vergangenen fünf Jahren neu auf den Markt kamen, Orphan Drugs.

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    Lange Wege bis zur Behandlung

    Zentren für seltene Erkrankungen sind wichtige Anlaufstellen für Betroffene mit und ohne Diagnose sowie für eine Behandlung. Mittlerweile gibt es bundesweit 36 solcher Zentren. Die Therapien sind häufig zeit- und kostenaufwendig, meist können nur die Symptome behandelt werden. Diesen Aufwand können nur große, überregionale Krankenhäuser oder Universitätskliniken mit den entsprechenden Zentren leisten.
    Zudem ist nur hier eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen möglich. Aufgrund der komplexen Krankheitsbilder ist diese interdisziplinäre Zusammenarbeit meist erforderlich. Betroffene müssen für Behandlung und Betreuung aber oft lange Anfahrtswege in Kauf nehmen.

    Hoher Pflegeaufwand für Angehörige

    Pflegende Angehörige, zumeist Eltern von Patienten mit einer seltenen Erkrankung, sind rund um die Uhr gefordert - vor allem mit Betreuung und Pflege, aber auch mit der Organisation und Begleitung zu Arzt- und Behandlungsterminen.
    Als besonders belastend beschreiben viele die bürokratischen Anforderungen, etwa bei der Verordnung von dringend benötigten Medikamenten und Hilfsmitteln. Bis ein bestimmtes Medikament oder ein Therapiegerät von der Krankenkasse genehmigt und schließlich geliefert wird, können mitunter Jahre vergehen.

    Namse - Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen

    Orphanet - Portal für Seltene Krankheiten und Orphan Drugs

    Achse - Allianz Chronisch Seltener Erkrankungen

    ELHKS Stiftung - Eva Luise und Horst Köhler Stiftung

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    Quelle: dpa

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