Der DFB will dem Nachwuchs wieder Fähigkeiten vermitteln, die aktuell eher in anderen Ländern gefördert werden. Wo es hakt, welche Wege es gibt - mehr im Bolzplatz by Manu Thiele.
Viele Talente in der Fußball-Bundesliga, aber die wenigsten in Deutschland ausgebildet. Woran liegt das? Der Bolzplatz by Manu Thiele - Folge 10
Am vergangenen Wochenende erzielte der 17-jährige Mathys Tel bei seinem dritten Einsatz sein erstes Bundesliga-Tor. Der Anfang der Saison für mehr als 20 Millionen Euro von Stade Rennes verpflichtete Tel ist das jüngste Beispiel dafür, warum Deutschlands Elite-Liga das Etikett "Ausbildungsliga" bekommen hat.
Zahlreiche Spieler, die in Leistungszentren anderen Länder ausgebildet wurden, erhalten hier den letzten Schliff für die internationale Karriere.
Nach kurzer Reifezeit wieder weg
Da Mathys Tel bei Bayern München spielt, ist bei ihm die Chance vergleichsweise groß, dass er eine Weile in Deutschland bleibt. Anders als Jadon Sancho oder Eric Haaland etwa, die Borussia Dortmund nach kurzer Reifezeit Richtung Premier League verließen. Bei Jude Bellingham und Jamie Bynoe-Gittens könnte es ähnlich laufen.
Der stete Zufluss von Talenten aus England, Frankreich und anderen Ländern hebt kurzfristig die Qualität der Bundesliga, bereitet den Verantwortlichen beim DFB aber dennoch Sorgen. Denn im Gegenzug wird die Luft für den einheimischen Nachwuchs immer dünner.
Der WM-Titel 2014 war für Michael Gentner, Leiter der Fußball-Akademie beim VfL Wolfsburg, eine Bestätigung für die Einführung der Nachwuchszentren.
Von den U23-Spielern in der Bundesliga sind nur 25 Prozent für die DFB-Auswahl einsatzberechtigt. U23-Natonaltrainer Antonio Di Salvo spricht beim Spielanteil deutscher Talente in der Bundesliga von einer "extrem gefährlichen Tendenz".
Immer feinmaschigeres Scouting nach Talenten
Während das Interesse bis etwa 2010 vorwiegend gestandenen Spielern aus dem Ausland galt, rückten mit dem europaweiten Ausbau der Leistungszentren die Nachwuchsspieler in den Fokus. Es entstand ein internationaler Talentmarkt mit einem immer feinmaschigeren Scoutingnetz.
Jeder wollte den neuen Messi herausbringen, der als 13-Jähriger aus Argentinien zum FC Barcelona gekommen war. In der vergangenen Saison waren laut transfermarkt.de 69 Talente aus anderen Ländern in den Kadern der Junioren-Bundesligisten tätig.
Joti Chatzialexiou: "Optimierungsbedarf bei der Förderung des Fußballnachwuchses"
Der Trend gehe zu "französischen, englischen und portugiesischen Jungs", sagte Borussia Mönchengladbachs damaliger Sportdirektor Max Eberl 2020. Diese bringen offenbar Fähigkeiten mit, die dem Gros des deutschen Nachwuchses abhanden gekommen zu sein scheinen.
Ausbildung erst innovativ, später schematisch
Zur Gründungszeit der Stützpunkte und Leistungszentren galt das deutsche Ausbildungssystem als vorbildhaft. Schließlich brachte es eine "goldene Generation" hervor, die 2009 U23-Europameister und 2014 auf ihrem Höhepunkt Weltmeister wurde.
Die folgenden Generationen gerieten zunehmend in ein überperfektioniertes und schematisches System, das wenig Raum für individuelle Entwicklungen ließ.
"Wir verlieren die Basis", warnte Bayern Münchens ehemaliger Nachwuchstrainer Mehmet Scholl schon 2017. Die Kinder müssten abspielen und dürften nicht mehr dribbeln:
Dazu kommt der frühe Druck des Gewinnen-Müssens, gefördert durch Trainer, die ihre eigene Karriere durch mannschaftlichen Erfolg und nicht durch individuelle Förderung voranbringen.
Projekt Zukunft will mehr Raum für Individualität
Das zweite Tor der Bayern gegen den VfB Stuttgart schoss Jamal Musiala. Geboren in Stuttgart, ausgebildet beim FC Chelsea und mit 17 in Bayern Münchens Leistungszentrum gekommen, kennt er beide Systeme. "Du hast viel weniger Druck, mehr Zeit dich zu entwickeln und kannst deutlich freier aufspielen", sagt er über seine Zeit in England:
Für Guido Streichsbier, Trainer der U-18-Nationalmannschaft beim DFB, gehören die deutschen U17- und U19-Jahrgänge nicht zu den Top-Teams in Europa.
Beim DFB ist das Problem erkannt. Das Projekt Zukunft sieht neue Spiel-, Wettbewerbs- und Trainingsformen vor, die Kreativität und individuelle Durchsetzungsfähigkeit in den Fokus rücken.
Die Erfolgsaussichten dieses Weges bespricht Manu Thiele im Bolzplatz mit DFB-Trainer Guido Streichsbier, dem sportlichen Leiter des DFB, Joti Chatzialexiou sowie Michael Gentner, dem Leiter des Nachwuchszentrums des VfL Wolfsburg.
- Bolzplatz
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