Der Videobeweis macht den Fußball gerechter, bremst aber auch Emotionen aus und sorgt wöchentlich für hitzige Diskussionen. Manu Thiele zieht Bilanz nach fünf Jahren VAR.
Der Video Assistant Referee (VAR) soll den Fußball gerechter machen, trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen. Was muss sich verbessern? Was sagen die Schiedsrichter?
Im Fußball machen ständig neue Worte Karriere. Shootingstar der fußballspezifischen Fachbegriffe ist der VAR, der Video-Assistent-Referee. Der ist im Gegensatz zu Libero, Viererkette und Gegenpressing nicht auf dem Platz, sondern am grünen Tisch entstanden und aktuell das meistdiskutierte Thema im deutschen Fußball. Manche können sich diesen ohne den VAR gar nicht mehr vorstellen, andere würden ihn gern ebenso in der Versenkung verschwinden sehen wie einst den Libero.
Weniger Druck für Schiris
Bei der Bilanz, die Bolzplatz by Manu Thiele nach fünf Jahren VAR zieht, geht es zunächst darum, was dieses Hilfsmittel im Kopf des Schiedsrichters auslöst. Die erste These: der VAR nimmt Druck raus. Schiedsrichter haben über 200 Entscheidungen pro Spiel zu treffen. Durch den VAR wird nicht nur die Angst vor gravierenden Fehlentscheidungen gelindert. Falls es doch zu einem Irrtum kommt, ist der Schiri auch nicht mehr der alleinige Sündenbock, auf den alle Wut niedergeht.
Über die neue Rolle des Schiedsrichters verändert der VAR auch das Spiel selbst. Es wird meist defensiver gepfiffen, das Spiel erstmal laufen gelassen, um mit einer möglichen Fehlentscheidung keine Torchance zu verhindern. Das sorgt zwar für Kopfschütteln, wenn bei einer klaren Abseitssituation die Fahne des Linienrichters erst nach Beendigung des Angriffs hochgeht. Insgesamt läuft das Spiel flüssiger, solange der VAR nicht eingreift.
Bundesliga-Schiedsrichter Daniel Siebert hat den VAR schätzen gelernt. Im Gespräch mit Manu Thiele beschreibt er die Stärken des VAR, sieht aber auch die Grenzen der Technik.
Einheitlichkeit fehlt
Bekommt der Schiedsrichter dann aber das Signal, dass eine Situation überprüft wird, kommt der Spielfluss komplett zum Erliegen. Noch gravierender sind die Folgen für den Gefühlshaushalt der Anhänger. Oft wird ihr spontaner Jubel erst abrupt unterbunden und dann müssen sie eine gefühlte Ewigkeit warten, ob sie die Arme wieder hochreißen können oder den Kopf senken müssen.
Diese Situation tritt immer häufiger ein, da die Zahl der Interventionen zugenommen hat. Eine einheitliche Linie, wann der VAR eingreift und wann nicht, ist nicht erkennbar. Bei Manu Thiele äußert sich WM-Schiedsrichter Daniel Siebert skeptisch dazu, ob sich diese Einheitlichkeit irgendwann einmal komplett herstellen lässt.
Test für halbautomatische Abseitslinie bei der WM
Leichter umsetzbar ist wohl eine Verkürzung der Wartezeit auf die Entscheidung. Die ist in Deutschland mit durchschnittlich 74 Sekunden zwar vergleichsweise kurz. Dennoch schauen die Verantwortlichen auch hier gespannt auf die WM in Katar, wo die halbautomatische Abseitslinie getestet werden soll.
Chips im Ball und den Trikots sorgen dafür, dass der VAR ein Signal bekommt, sobald ein Spieler im Abseits steht. Mit dieser neuen Technologie soll die Wartezeit bei Abseitsentscheidungen auf 25 Sekunden reduziert werden.
Für viele Fans und Verantwortliche der Bundesligaklubs ist der Videobeweis ein Streitthema. VAR-Chef Dr. Jochen Drees spricht unter anderem über die Dauer der Entscheidungsfindung.
Videoeinblendungen und Schiri-Durchsagen
Eine größere Akzeptanz des VAR könnte durch mehr Transparenz bei den Gründen für eine Entscheidung hergestellt werden. Manu Thiele stellt die Modelle vor, die dafür diskutiert werden: Videoeinblendungen und mündliche Erläuterungen der Schiedsrichter im Stadion.
Wie wichtig letztere sein könnten, demonstrierte Werder Bremen-Stadionsprecher Arnd Zeigler, als er in der letzten Saison beim Nordderby gegen den HSV eine VAR-Entscheidung, die zur Rücknahme eines Werder-Tores führt, erläuterte. Und so verhinderte, dass die Emotionen hochkochten.
Weniger Schwalben und Tätlichkeiten
Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile kommt Manu Thiele zu dem Schluss, dass der VAR den Fußball gerechter und besser macht. Fürs erste spricht die Zahl von 98 Prozent richtigen Entscheidungen gegenüber 92 Prozent ohne VAR. Fürs zweite vor allem die präventive Wirkung des VAR. "Es gibt mittlerweile so gut wie keine Schwalben mehr, die zu Strafstößen führen", sagte der DFB-Innovations-Leiter Jochen Drees der dpa. "Spieler sind zudem abgeschreckter vor Tätlichkeiten. Sie wissen, dass sie damit nicht mehr durchkommen."
- Bolzplatz by Manu Thiele
Sportjournalist Manu Thiele analysiert die Bundesliga, sowie Champions League und erklärt, wie das Fußballgeschäft funktioniert. Kritisch und auf den Punkt.