Ecke und Einwurf - bald kein Fall mehr für Schiedsrichter? Ein Projekt bringt jugendlichen Fußballern schon früh Fair Play bei und soll so Gewalt gegen Schiris verhindern.
Im Kinderfußball sind die drei Regeln der Fair Play-Liga mittlerweile selbstverständlich: Eltern halten Abstand, Trainer agieren gemeinsam, Kinder entscheiden selbst. Dann kommen sie in die D-Jugend und müssen auf Abseits achten und auf den Schiedsrichter hören. Die Bandagen werden härter, in den folgenden Jahren verlieren immer mehr die Lust.
Viele hören im Jugendalter auf
"Wir haben eine große Dropout-Rate bei den Jugendlichen", sagt Tobias Kleiner, Kreisjugendwart im Fußballkreis Bergstraße dem ZDF.
Das Problem sei inzwischen so bedrohlich für Vereine und Verbände, dass die Offenheit für neue Ansätze steige, sagt Kleiner.
-
In dieser Situation fand der Erfinder der Fair Play-Liga, Ralf Klohr, Mitstreiter für seine Idee, das bei Kindern erfolgreiche Fair-Play-Konzept in den Jugendfußball zu transportieren: das Projekt "Miteinander". Dabei reicht eine Regel: Spieler und Spielerinnen treffen alle Entscheidungen an den Außenlinien selbst.
Für ein positives Schiri-Bild
"Der Schiedsrichter hat keine Assistenten und kann die Entscheidungen über Einwurf, Abstoß oder Eckball gar nicht zuverlässig treffen", sagt Klohr. "Da Zusammenarbeit mit den Spielern gefordert ist, wird sich die Haltung gegenüber dem Schiedsrichter positiv verändern." Die einfache Idee dahinter: Die Jugendlichen wenden an, was sie in der Fair-Play-Liga gelernt haben.
Gefragte Gewaltprävention
Klohr hatte die Idee zu "Miteinander" bereits 2012, als in den Niederlanden ein Linienrichter von Jugendlichen totgeprügelt wurde. Aber erst als 2019 auch hierzulande die Gewalt im Amateurfußball eskalierte, kam Bewegung in die Sache.
Die Kriminologin und Schiedsrichterexpertin Thaya Vester sowie die im hessischen Fußballverband aktive Sportwissenschaftlerin Silke Sinning, die kürzlich zur Vizepräsidentin des DFB gewählt wurde, griffen die Idee auf. Sinning hat die Beobachtungen einiger Pilotspiele ausgewertet.
Kaum Kontroversen an den Außenlinien
"Die Schiedsrichter müssen sich etwas umstellen, insgesamt läuft es fast ohne Kontroversen", sagt Sinning dem ZDF. "Das Spiel wird schneller und die Schiedsrichter werden deutlich entlastet. Zwischen 60 und 80 Prozent aller Entscheidungen betreffen die Außenlinie". Dem Schiedsrichter werde zwar ein Teil seiner Kompetenz genommen, aber er lernt, in strittigen Situationen trotzdem Einfluss zu nehmen. "Es ist immer eine Kommunikation da".
Nicht nur auf dem Platz: Die Meinung der Jugendlichen ist auch gefragt, wenn es um die Weiterentwicklung des Projektes geht. Und die läuft nach einem Corona-bedingten Zwischenstopp jetzt an. Bis zum Sommer wird das Konzept in drei hessischen Fußballkreisen mit weiteren Testspielen erprobt.
Geteilte Verantwortung
Das ist vor allem der Überzeugungsarbeit von Tobias Kleiner zu verdanken, der als Schiedsrichter, Trainer und Jugendwart fast alle beteiligten Rollen kennt. "Es geht um eine respektvolle Haltung, die alle Beteiligten am Spiel betrifft", sagt er.
Nach der Erprobungsphase hoffen die Beteiligten, dass das "Miteinander"-Konzept zur neuen Saison mindestens in den drei Pilot-Kreisen flächendeckend eingesetzt wird, möglichst sogar in weiteren. Sinning ist von der Strahlkraft des Projektes überzeugt.
Vorbildhafte Grenzüberschreitung
"‘Miteinander‘ bringt die üblichen Strukturen in Bewegung", sagt sie. "Es ist ein Jugendprojekt, das gleichzeitig ein Schiedsrichterprojekt ist und auch die Trainer einbezieht. Und die Abteilungen für gesellschaftliche Verantwortung schauen sich das auch an. Das kann vorbildhaft für den DFB sein."