Tokio 2020 muss stattfinden. Nicht wegen sinkender Corona-Fallzahlen, eines Impfwunders oder der ausgegebenen Milliarden. Sondern wegen China und den Winterspielen.
Kultur, Handel, Religion, aber auch Kriegsverbrechen und Polemik trennen und verbinden die zwei großen Wirtschaftsnationen seit Jahrhunderten. China und Japan sind einander im ewigen Wettstreit verbunden. Auch um Olympia.
Antikes Corporate Branding
Schon in der späten Antike nannte China Japan wenig schmeichelhaft "Land der Zwerge" (倭國), was Japan später leicht in "Land der Harmonie" (和國) ummünzen konnte, da beides gleich ausgesprochen wird ("Wakoku").
Dennoch galt China lange als Kulturbringer: Poesie, Schrift und Buddhismus kamen alle aus dem Reich der Mitte. "Wakon Kansai" (和魂漢才) hieß es damals: japanische Seele, chinesische Expertise.
Reger Handel zwischen Japan und China
Für China wiederum war Japan ein veritabler Handelspartner. An der eigenen Überlegenheit hatte man nie Zweifel: Man hielt es nicht für nötig, Japan zu unterwerfen.
Japanologin Irmela Hijiya Kirschnereit über die Gesellschaftsstrukturen in Japan
Kein Kniefall à la Willy Brandt
Im 19. Jahrhundert fiel China jedoch westlichen Kolonialisten anheim und galt Japan als warnendes Beispiel. Nippon unterzog sich einer Turbomodernisierung und inhalierte alles, was damals en vogue war - inklusive Kolonialgedanken und der Überzeugung eigener Überlegenheit.
Die lebte es in China aus und beging während der japanischen Invasionen und vor allem im Zweiten Weltkrieg Verbrechen. Diese wurden kaum tiefgreifend aufgearbeitet oder tiefgehend entschuldigt.
Schlechte Anzeichen aus der Nachbarschaft
Heute ist China das Land der Turbomodernisierung, was beiderseits erneut den Überlegenheitsgedanken anfixt. Sportlich merkt man das an den elektrisierten Duellen in Prestigesportarten wie Badminton, wo Matches die Gemüter erhitzen und nationale Relevanz haben.
In Tourismus und Handel macht Chinas Aufstieg beide Länder hingegen zu besten Kunden. Chinas Boom steigert aber auch die Unverholenheit, mit der die autokratische Volksrepublik ihre Ansprüche vorantreibt.
"75 Prozent der Japaner stehen der Volksrepublik China misstrauisch gegenüber", sagt Professor Suwa Kazuyuki, der an der Universität Shizuoka das aktuelle Verhältnis zwischen Nippon und dem Reich der Mitte erforscht: "Das liegt am rigorosen Vorgehen in Hongkong und der Aggression gegenüber Taiwan."
Harmonisch Muskeln zeigen
Nippons Politik sucht deswegen ein internationales Symbol der Stärke, das dem landeseigenen Harmoniebedürfnis entspricht.
Wo das zu finden ist, stellte Japans Premierminister Suga Yoshihide noch im Januar klar: "Die Spiele sind der Beweis für den Sieg der Menschheit über Corona und Symbol der globalen Einheit." Dieser Sieg soll in Japan gefeiert werden.
Kaum drei Prozent sind geimpft
Doch sollte eine weitere Covid-Welle der noch immer weitestgehend ungeimpften Bevölkerung des Archipels die Luft nehmen, wäre internationales Ansteckungsrisiko durch internationale Spiele nur schwer vermittelbar.
Schon jetzt sind 69 Prozent der Japaner für eine Verschiebung oder Absage. Diese aber käme im immer noch von traditionellen Ehrerhaltungsstreben getriebenem Politikbetrieb Nippons einer nationalen Niederlage gleich.
Ein Balanceakt der Ehre
Deswegen vermutet Suwa, dass man sich eines Drahtseilaktes versucht, um - typisch japanisch - das Gesicht zu wahren:
Japan wäre nach eigener Aussage ja vorbereitet gewesen. Man könnte sagen: In der Organisation unbesiegt. Und in Hinblick auf China ist das wichtig.
China den "Sieg" nicht gönnen
"Zurzeit ist man sich sicher: China wird die Winterspiele abhalten", sagt Suwa Kazuyuki. Verschiebt Japan die Spiele aus eigenem Antrieb oder ließe sie ganz ausfallen, so würde China diesen "Sieg" einheimsen. Deswegen zählt für Japans Olympiaorganisatoren nur das Jetzt.