Die WM in Katar verkörpert für die organisierte Fanszene alles Schlechte am Fußball. Daher ist die Ablehnung so groß - und die Nachfrage nach Tickets gering.
Es ist fast ein Novum: Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, kurz KOS, wird diesmal nicht bei der Fußball-WM vor Ort sein. Die mobile Fanbotschaft, eine gemeinsam mit dem DFB organisierte Anlaufstelle für deutsche Anhänger in Katars Hauptstadt Doha, besetzen bei dem umstrittenen Turnier (20. November - 18. Dezember) sein Kollege Philipp Beitzel und seine Kollegin Julia Zeyn.
Der gebürtige Österreicher, früher selbst ein talentierter Kicker bei seinem Herzensverein Eintracht Frankfurt, klingt nicht mal traurig. Auch wenn der 58-Jährige ja seit der Europameisterschaft 1992 in Schweden regelmäßig mit der Fanbotschaft zur Unterstützung der reisenden Anhänger vor Ort war.
Abneigung aus der jüngeren Historie begründet
Doch 2022 ist alles anders - und die Ablehnung in der organisierten Fanszene so groß wie nie zuvor. Gabriel weiß:
Da sei fast niemand, der dieses eigentlich größte Fußball-Ereignis begrüßt. Für Gabriel müsse man dafür den Gesamtzusammenhang betrachten, um die Bauchschmerzen der Fans zu verstehen.
Die Abneigung der Anhängerschaft erkläre "sich mit der Entwicklung des Fußballs in den letzten 20 Jahren. Die jahrelang geäußerte Kritik an der Kommerzialisierung verdichtet sich in diesem Ereignis", erläutert Gabriel.
Letztlich gelte die WM nun als weiterer Beleg, dass man im Fußball alles kaufen kann.
In drei Wochen startet die wohl umstrittenste WM aller Zeiten. Faeser hatte im Vorfeld die Vergabe an Katar kritisiert. Bei den Gesprächen heute standen die Menschenrechte im Vordergrund.
"Fan Club Nationalmannschaft" hält sich zurück
So fällt der Support fürs DFB-Team deutlich verhaltener als bei sonstigen Turnieren aus: Der "Fan Club Nationalmannschaft" hat lediglich 4.000 Karten von den insgesamt 37.000 Tickets an Deutsche geordert. Für die ersten Gruppenspiele werden also wohl nur je rund 1.000 aus dem "Fan Club" schwarz-rot-goldene Unterstützung leisten.
Angesichts der Diskussionen um Katar, aber auch der teuren Unterbringung, sei die niedrige Zahl keine Überraschung, heißt es beim DFB.
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Vereinigung ProFans wollte einen Boykott
Die Vereinigung "ProFans" hat dem Verband in den vergangenen Monaten immer wieder schwere Vorwürfe gemacht, keine Umfrage zu machen, ob man nicht die WM hätte boykottieren müssen. Ja, ein Boykott käme für die Opfer zu spät, hieß es, aber er wäre immerhin ein Signal an künftige Bewerberländer gewesen. Die Initiative "Boycott Qatar 2022" hat nun vor den letzten drei Bundesliga-Spieltagen zum Protest aufgerufen.
- DFB besorgt um die Stimmung im Team
Die deutsche Nationalmannschaft braucht einen guten Spirit, um bei der WM in Katar erfolgreich zu sein. Deshalb sollen heikle Themen nicht zu sehr aufs Binnenklima abfärben.
"Dieses Turnier ist ein dem Fußball unwürdiges Vorhaben. Durch das autokratische Regime in Katar und das korrupte, profitorientierte Vorgehen der FIFA werden nahezu alle Gebote der sportlichen und politischen Fairness verletzt", hieß es in einem Statement. Mittels Transparenten und Choreographien soll die Ablehnung sichtbar werden.
Mutige Protestnote
Dario Minden, Fanvertreter "Unsere Kurve", wagte die wohl mutigste Protestnote, als er auf einem DFB-Menschenrechtskongress den katarischen Botschafter Scheich Abdulla Bin Mohammed bin Saud Al-Thani vom Rednerpult auf Englisch über seine Homosexualität in Kenntnis setzte und Akzeptanz einforderte.
Es sei gar nicht mal das Problem, sagte Minden damals, "dass eine WM in ein Land kommt, das keine Fußball-Kultur hat". Das Problem sei die blutige Ausbeutung und zur Verhandlungsmasse verkommene Menschenrechte.
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Schon jetzt ändere die WM in Katar vieles, sagt DFB-Präsident Neuendorf im ZDF. Eine Vergabe ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte werde man "nicht mehr erleben".
"Schamlos WM gekauft"
Katar habe "schamlos eine WM gekauft", aber habe damit auch nichts anderes gemacht, was Deutschland vor 20 Jahren getan habe, merkte Minden wegen der ungeklärten Zahlungsströme rund um die WM 2006 an. Der Fan-Vertreter wird jedenfalls nicht zur WM nach Katar reisen.
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Mehrere französische Großstädte haben beschlossen, die Fußball-WM in Katar zu boykottieren. Aus politischen oder ökologischen Gründen. Kommt der Boykott zwölf Jahre zu spät?